53-Jähriger beharrte auf sein Recht auf Meinungsfreiheit. | Erneut Festnahme von Aktivisten. | Peking. Es ist die typische Reaktion von Chinas Regime auf Widerspruch: Die Kommunistische Partei sucht nicht den Dialog, sondern demonstriert ihre Macht. Das bekommt nun auch der subversive Künstler Ai Weiwei deutlich zu spüren: Nachdem er schon am Wochenende verhaftet worden war, sickerte nun durch, was dem 53-Jährigen vorgeworfen wird. Gegen Ai werde wegen mutmaßlicher "Wirtschaftsverbrechen" ermittelt, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua.
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Welche Behandlung Ai in den vergangenen Tagen erfahren hat, darüber herrscht selbst bei seinen engsten Angehörigen Ungewissheit: Ais Frau Lu Qing sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie wisse nicht, an welchem Ort ihr Mann festgehalten werde.
Die Behörden hatten zuvor mehr als 20 Computer im Atelier von Ai beschlagnahmt und mehrere seiner Mitarbeiter verhört. Die Ermittlungen hätten "gar nichts mit Menschenrechten oder Redefreiheit zu tun", beschied ein Sprecher des Außenministeriums. Seine Familie sieht Ai hingegen als Opfer einer politischen Hexenjagd. Und auch wenn Ai nun wirtschaftliche Delikte vorgeworfen werden, ist der politische Hintergrund des harten Vorgehens gegen Ai laut Beobachtern offensichtlich.
Der Mann mit dem dichten Bart und der Stoppelglatze hat das Regime ständig herausgefordert. Ai, der auf Europas Kunstmessen wegen seiner Installationen gefeiert wird, ist in seiner Heimat vor allem als Kritiker der herrschenden Zustände bekannt.
Mittelfinger-Aktion zum Jahrestag
Er machte in seinen Internetblogs von dem in Chinas Verfassung garantierten Recht auf Meinungsfreiheit reichlich Gebrauch und erhob seine Stimme gegen Korruption und die Willkür des Machtapparats.
Zudem provozierte er die Staatsmacht mit verschiedenen Aktionen: So erstellte der Sohn eines Dichters gemeinsam mit freiwilligen Mitarbeitern eine Liste von Kindern, die bei dem verheerenden Erdbeben in der Provinz Sichuan 2008 ums Leben kamen. Auf der Liste befanden sich schließlich mehr als 5000 Namen. Ai wollte damit eine bei den Behörden sehr unliebsame Diskussion in Gang bringen: Nämlich ob diese Kinder mit dem Leben bezahlten, weil Schulen schlampig gebaut waren und gar nicht den Sicherheitsvorschriften entsprachen.
Auch als die Volksrepublik ihren 60. Jahrestag feierte, kam von Ai ein eigener Beitrag: Er initiierte einen "Mittelfinger-Fotowettbewerb". Damit wollte er seine Landsleute zur Schmähung von Herrschaftssymbolen anstacheln.
Dass die Behörden ausgerechnet zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen Ai vorgehen, kommt nicht überraschend. Seit dem Ausbruch der Revolten in den arabischen Ländern hat die Staatsmacht den Repressionsapparat noch einmal verstärkt.
Das Internet wird schärfer überwacht und ständig kommt es zu Verhaftungen von kritischen Geistern. So wurden erst am Donnerstag die beiden Menschenrechtsaktivisten Ni Yulan und Dong Jiqin festgenommen. Das Paar sei aus seiner Unterkunft abgeführt worden, sagte deren Tochter Dong Beibei der Deutschen Presse-Agentur per Telefon. Die Anwältin Ni, die sich für von Zwangsumsiedelungen betroffene Familien eingesetzt hatte, war erst im April 2010 aus zweijähriger Haft entlassen worden. Seit ihrer Freilassung war sie auf Krücken und einen Rollstuhl angewiesen.
Die USA haben sich erst kürzlich über das Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten in China besorgt gezeigt. Und verschiedene westliche Länder verlangten bereits die Freilassung Ais. Doch in der Volksrepublik, die auf der Weltbühne immer mächtiger wird, verhallen derartige Zwischenrufe ungehört.