Xi kritisiert überbordende Bürokratie und verspricht soziale Sicherheit.
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Peking. Es ist 11 Uhr, und in einem Osttrakt der Großen Halle des Volkes liegt die Spannung in der Luft. Gleich müsste die Tür aufgehen und der neue Ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas im Gänsemarsch hereintreten. Angeführt vom neuen Parteichef Xi Jinping sollten die mächtigsten Männer Chinas einmarschieren, exakt in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit. Doch nichts passiert.
Die Kommentatoren im Staatsfernsehen CCTV werden nervös, ihnen geht der Gesprächsstoff aus, auf Twitter werden unter dem Hashtag #WhyXiJinpingIsLate Witze gemacht und zwei Fotografen zischen sich zu: "Die streiten vermutlich noch immer." Dann trifft sie der vernichtende Blick eines Pressebeamten. Nach fast einer Stunde - CCTV ist der Verzweiflung nahe und sendet Filme über "Glückliches Leben in China" - geht die Tür schließlich doch noch auf und herein treten der künftige Staatspräsident Xi Jinping, der designierte Premier Li Keqiang sowie die neuen Ausschussmitglieder Zhang Dejiang, Yu Zhengsheng, Liu Yunshan, Wang Qishan und Zhang Gaoli.
Viel war in den zwei Wochen seiner rätselhaften Abwesenheit kurz vor dem Parteitag über den Gesundheitszustand von Xi Jinping spekuliert worden. Sollte er jemals krank gewesen sein - man sieht es ihm nicht an: Lächelnd tritt er ans Pult, entschuldigt sich höflich für die Verspätung und stellt zunächst seine Mannschaft vor. Bereits jetzt wird klar, wer in dieser Runde der Boss ist: Xi spricht völlig frei in akzentfreiem Mandarin, leise, aber bestimmt, blickt den anwesenden Journalisten in die Augen und verhaspelt sich nie.
Verlegene Mitstreiter
Seine Mitstreiter hingegen wirken deutlich unsicherer: Verlegen treten sie um einen Schritt nach vorne, als sie aufgerufen werden, Li Keqiang winkt ein wenig schüchtern und Propagandachef Liu Yunshan verzerrt sein Gesicht zu einer Grimasse. Souverän wirkt hier nur der bisherige Vizepremier für Wirtschaft und Finanzen Wang Qishan auf der rechten Seite, der ebenso wie Xi in sich zu ruhen scheint.
Viel verrät der neue Chef der Kommunistischen Partei nicht in seiner ersten Ansprache. Er bedankt sich bei der Partei für das in ihn gesetzte Vertrauen und kündigt an, die Öffnung des Landes fortsetzen zu wollen.
Wie sein Vorgänger Hu Jintao nennt er wenig überraschend die Bekämpfung der Korruption als eine der wichtigsten Herausforderungen für die Partei und kündigt an, in solchen Fällen werde man künftig hart zuschlagen: "Um Eisen zu schmieden, muss man stark sein."
Das gelte auch für die überbordende Bürokratie, die man eindämmen müsse. Oft erwähnt Xi "das Volk", zu dem die Partei den Kontakt verloren hätte; er bedankt sich bei der Bevölkerung für die Geduld beim Aufbau des Landes und verspricht ihr, sich um die "soziale Sicherheit" und "ein besseres Leben" zu bemühen. Auffällig ist, dass der künftige Präsident in seiner Ansprache dreimal den Begriff "ethnische Gruppen" verwendet - offensichtlich sieht er hier nach 60 Selbstverbrennungen tibetischer Mönche seit dem Frühjahr Handlungsbedarf. Wie er sich den "gravierenden Herausforderungen" insgesamt stellen werde, sagt Xi nicht, allerdings stellt er wie sein Vorgänger Hu klar, dass am dogmatischen Kern der Partei nicht zu rütteln wäre: Solange die Partei am "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen" festhalte, sei ihr die Zukunft gewiss. Nach exakt 14 Minuten ist Schluss, Fragen der Presse werden nicht zugelassen, der Rest der neuen Führung tritt ohne ein Wort zu sagen ab.
Überraschungen gibt es keine: Keiner der reformorientierten Kandidaten hat es in den Ausschuss geschafft, und obwohl der Große Vorsitzende Mao einst meinte, Frauen gehöre die Hälfte des Himmels, ist die Parteileitung nach wie vor ein reiner Männerverein. Auch von einer jungen Garde kann bei einem Durchschnittsalter von 63 Jahren eher nicht die Rede sein.
Stattdessen haben sich die von Altpräsident Jiang Zemin protegierten konservativen Kräfte auf ganzer Linie durchsetzen können, besonders die Installierung der "eisernen Faust" Zhang Dejiang als Nummer drei der Rangreihenfolge soll offensichtlich all jene einbremsen, die auf eine Liberalisierung hoffen. Und auch der erste Gratulant spricht nicht für eine Reformregierung: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un beglückwünschte die Kommunistischen Partei Chinas zum "erfolgreichen Parteitag" und Xi zur Wahl.