Es spießt sich bei den Lohnverhandlungen der Fleischer. Ihnen droht ein Reallohnverlust. Die Preissteigerung durch den stärkeren China-Export aufgrund einer Schweineseuche beschert den Betrieben ein dickes Minus.
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Wien. Dieser Kampf ist selbst Lukas Resetarits nicht wurscht. Zumindest inszeniert sich der Kabarettist in einem Video für die Gewerkschaft neuerdings als Verteidiger der Fleischindustrie. Die Nachricht ist klar und kann Spuren von Extrawurst enthalten. Es gehe bei den Lohnverhandlungen der Fleischer um die "Wurscht", sagt Resetarits, und die sei ihm nicht "Wurscht". Früher hätte man gesagt, etwas sei "so wurscht, wie wenn in China a Radl umfoit". Heute gelte, wenn dort ein Schwein umfällt: "Dann kürzen wir euch die Löhne, damit der Fleischpreiskampf in den Supermärkten umgesetzt wird." Und man ahnt es bereits: "Das darf uns nicht wurscht sein."
Diese Zeilen sind allerdings weniger humoristisch gemeint, als es den Anschein hat.
Das umgefallene Schwein steht, erstens, für die afrikanische Schweinepest in China. Der Produktionsausfall der Wirtschaftsmacht wird auf 18 Millionen Tonnen geschätzt, das ist etwa ein Drittel der chinesischen Landesproduktion, weshalb das Land immense Mengen an Schweinefleisch aus Europa, aber auch aus Österreich importiert. Das schafft in der Branche einen noch stärkeren Druck als ohnehin schon. Laut dem Preisbericht der AgrarMarkt Austria stieg der Schweinepreis zwischen Jänner und Mai dieses Jahres von 1,45 Euro auf 1,82 Euro pro Kilo, der Handel nimmt der Fleischwirtschaft die Schweine aber nicht um die erhöhten Preise ab.
Zweitens sorgt genau das für Stunk bei den laufenden Lohnverhandlungen. Ende Juli konnten sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter von österreichweit 13.340 Beschäftigten und 1300 Betrieben in der Fleischwirtschaft auch in einer dritten Runde nicht einigen. Für die Wirtschaftskammer ist die Forderung der Gewerkschaft von vier Prozent Lohnerhöhung zu hoch. Das könnten die Betriebe nicht zahlen. Die Schweinepest in China werde den heimischen Markt auch im zweiten Halbjahr 2019 überfordern. Die Gewerkschaft poltert, weil ihr die Wirtschaftskammer nur ein Prozent mehr Lohn angeboten habe. Das sei weniger als die Inflationsrate von 1,93 Prozent im Juli, also ein Reallohnverlust. Die nächste Runde der Verhandler findet am 4. September statt. Die Fronten sind verhärtet. Nun folgen Betriebsversammlungen.
Ein Knackpunkt der Verhandlungen geht, drittens auf einen Spruch des Obersten Gerichtshofs aus dem Vorjahr zurück. Demnach wird die Umkleidezeit mitunter auch in er Fleischwirtschaft künftig als Arbeitszeit gerechnet, muss also bezahlt werden.
Laut der Bundesgeschäftsführerin der Wirtschaftskammer im Bereich Lebensmittelgewerbe, Anka Lorencz, ergebe sich künftig schon dadurch eine Lohnkostensteigerung von zwei Prozent. Angesichts der bescheidenen Marktsituation könnte die Fleischwirtschaft zusätzlich eine deftige Lohnerhöhung, wie sie die Gewerkschaft will, nicht stemmen. Denn nicht nur China allein sei ein Problem. Sondern auch die Reaktion der heimischen Handelsriesen Rewe, Spar, Lidl, Hofer und Metro, den "Big Five", auf die Preisentwicklung durch die chinesische Schweinekrise. Diese erfolge marginal - und zu spät. Profiteur der hohen Schweinepreise ist die Landwirtschaft, die an die Fleischwirtschaft verkauft, die zwischen Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel in der Zwickmühle sitzt.
Das große Preisdiktat der "Big Five"
"Soweit ich weiß, haben alle von diesen fünf ein bisschen nachgezogen, aber auf den Verlusten aus dem ersten Halbjahr bleiben die Betriebe sitzen", sagt Lorencz. Die Fleischer könnten die Lieferungen an die Großbetriebe aber nicht aus Trotz einstellen, ihr Absatz sei von den "Big Five" abhängig. Wenn man nicht mehr in deren Sortiment sei, "dann können die Betriebe nicht mehr überleben". Heute würden weit mehr als 90 Prozent der Waren aus dem Fleischwarensektor über die Theken der "Big Five" gehen. Wenn die Schweinekosten steigen und das die Marktgrößen nicht interessiere, dann stehe der Betrieb "mit dem Rücken zur Wand".
Das sieht der Betriebsrat eines großen Fleischerbetriebs, Robert Schwarzbauer, ganz genauso. "Die, die in den Produktionsfirmen arbeiten, bekommen damit auch keine Lohnerhöhung und sie sind auch Konsumenten im Handel", sagt der Fleischer. "Das ist eine Spirale, die sich immer weiter nach unten dreht." Der Handel solle kein Körpergeld machen und Monate warten, bis er auf die Rohstoffpreise reagiere.
"Dass man ihnen Geld wegnimmt, ist ja untragbar"
Schwarzbauer sitzt der Kammer bei den Lohnverhandlungen gegenüber. Was er nicht versteht: Warum sich die Arbeitnehmer die Umkleidezeit mit einem Reallohnverlust "selber zahlen sollen". Das könnte er seinen Kollegen nicht antun. "Dass man ihnen Geld wegnimmt, ist untragbar", so Schwarzbauer. In den Tiefkühlräumen müsse man bei minus 38 Grad Schockgefrierung mehrere Schichten sowie Stiefel anziehen. Durch die harte Arbeit beginne man zu schwitzen und sei dort drinnen krankheitsanfälliger. Das betreffe auch die Gelenke. Der Beruf werde immer intensiver auch durch neue Maschinen und Hygienevorschriften.
Wo sich die Streitparteien bei den Lohnverhandlungen einpendeln werden, lassen beide offen. Die "goldene Mitte" müsse her, sagt Schwarzbauer. Es werden am Ende wohl weder die ein noch die vier Prozent sein. Hoch wird das die Gewerkschaft aus Sicht von Lorencz nicht gewinnen, da mit höheren Lohnkosten die kleinen Metzgereien zusperren müssten. Die Branche halte sich mit Ach und Krach "über Wasser und aus den roten Zahlen". Dem Vernehmen wollen viele namhafte Betriebe in Sachen Kollektivvertrag mit einer Lohnerhöhung bis zu 2,5 Prozent in Vorlage gehen.
Dem Fleischergewerbe in Österreich geht es nicht gut. Während die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren eher stabil blieb und sogar angestiegen ist, müssen immer mehr Fleischereien schließen. Laut Daten der KMU Forschung Austria gab es 2005 noch knapp mehr als 1700 solcher Betriebe, beim EU-Beitritt 1995 waren es sogar noch mehr als 6000. 2018 sind es nur noch 1285, knapp 100 davon in Wien, "da sind die Kebabbuden schon miteingerechnet", so Lorencz. Die Diskrepanz zwischen Betrieben und Mitarbeitern ergebe sich dadurch, dass etwa kleine Metzgereien schließen, während sich Schlacht- und Zerlegebetriebe vergrößern.
Ein Problem sei, dass Fleischereien wenig lukrativ seien und der Nachwuchs fehlt. Die Jungen wollen den Betrieb von ihren Eltern oft nicht mehr übernehmen, mitunter weil man sich die Nachfolgeinvestionen gar nicht mehr leisten könne, sagt Lorencz. Was fehlt, seien auch Lehrlinge. In ganz Wien gibt es heuer vier an der Zahl, im vergangenen Jahr fand sich gar keiner. Schwarzbauer glaubt, dass der Lehrlingsschwund unter anderem daran liege, dass es trotz Kälte ein geruchsintensiver Beruf sei. "Es wird schwieriger", sagt er. "Das ist schade, als Fleischhauer kann man sich alles selbst machen."
An sich verstärkt die China-Krise ein bestehendes Problem. Fleisch sei im Handel überall ein "Preiszuckerl", sagt Schwarzbauer, was die Produktionsbetriebe nun noch stärker unter Druck bringt.
Offenbar führen auch Preiserhöhungen ins Leere. "Es wird immer gefragt, warum man nicht alles auf Freilandhaltung umstellt", sagt Lorencz. Die traurige Wahrheit sei, dass der Bauer von dem, was der Handel für ein Kilo Bio-Schweinefleisch zahlt, "nicht überleben kann", wenn er all die Kosten für Freilandhaltung anfallen, zusätzlich tragen müsste. Zudem habe eine Untersuchung ergeben, dass sich das marginal teurere Produkt kaum in nennenswerter Menge verkauft.
"Wir sind zum Zuschussland mutiert"
Österreichs Schweinemarkt ist ein kleiner. Etwa fünf Millionen Schweine werden hier laut Lorencz geschlachtet. In Deutschland kommt ein Unternehmen alleine , die Firma Tönnies, auf mehr als drei Mal so viele - und das an einem einzigen Standort des Konzerns.
"Ungefähr die Hälfte von dem was wir haben, exportieren wir, die andere Hälfte kommt aus dem EU-Ausland wieder rein", sagt Lorencz. "Wir sind zum Zuschussland mutiert." Nur bei Rindern oder Milch sei Österreich im Bereich der tierischen Rohstoffe noch wirklich Selbstversorger.