Wirtschaftswachstum kommt nicht über acht Prozent - die gelten als Kennzahl, um soziale Unruhen zu vermeiden.
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Peking. In der Vergangenheit sah man die Herren vom Nationalen Amt für Statistik meist mit triumphierendem Lächeln, als sie die halbjährlichen Wirtschaftsdaten veröffentlichten und sich das Wachstum zumeist im zweistelligen Bereich bewegte. Nur einmal, im Krisenjahr 2009, setzten sie eine ernste Miene auf, als es galt, eine Verlangsamung der unaufhaltsamen Vorwärtsbewegung Chinas zu vermelden.
Diesmal war alles ein wenig anders: Mit triumphierender Ernsthaftigkeit verkündete der Sprecher des Statistikamts Sheng Laiyuan, dass die chinesische Volkswirtschaft um 7,5 Prozent gewachsen sei und damit das schwächste Wachstum seit 1991 erzielt hätte. "Wir haben es mit einer komplexen Lage zu tun", lächelte er die erstaunten Journalisten an und fügte hinzu, dass es nun in erster Linie darum ginge, die "Restrukturierung zu fördern" und mehr aus den "treibenden Kräften" des Marktes zu machen.
Märkte waren alarmiert
Die Zahlen zum zweiten Quartal decken sich mit den Erwartungen der meisten Analysten, die insgeheim sogar mit Schlimmerem gerechnet hätten. Das Wachstumstempo hatte sich in der letzten Zeit immer mehr abgeschwächt, von plus 7,9 Prozent im letzten Quartal 2012 auf 7,7 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres und jetzt eben auf 7,5 Prozent. Das offiziell ausgegebene Wachstumsziel der Regierung lautet für dieses Jahr eben jene 7,5 Prozent, doch zuletzt war es ausgerechnet Wirtschaftsminister Lou Jiwei, der mit Kassandra-Rufen die Märkte aufschrecken ließ: In einem Interview stellte er vergangene Woche ein Wachstum von sieben Prozent für das Gesamtjahr 2013 in Aussicht und fügte hinzu, dass selbst ein weiteres Absinken auf 6,5 Prozent für das Land kein Beinbruch sei.
Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua ruderte am Wochenende eilig retour und versicherte, dass es beim ursprünglich ausgegebenen Ziel bleiben würde. Im Endeffekt dürften beide Prognosen taktischer Natur gewesen sein, denn so bereitete Lou die Märkte einerseits auf eine schwächere Expansion der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt vor, andererseits signalisierte die offizielle Seite eine gewisse Kontinuität in einer unsicheren Zeit.
Der Einbruch hatte sich in den vergangenen Wochen bereits abgezeichnet. So gingen die Exporte im Juni überraschend stark zurück: Auf 3,1 Prozent bezifferte die Zollverwaltung den Rückgang im Vergleich zum Vorjahresmonat, wofür die schwache globale Nachfrage, der starke Wechselkurs und höhere Arbeitskosten verantwortlich gemacht werden. Doch auch der überschuldete Unternehmenssektor sorgt zunehmend für Stirnrunzeln: Schätzungen zufolge sind die chinesischen Firmen mit mehr als 150 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts verschuldet, was die staatlichen Banken durch günstige Kredite zusätzlich angeheizt haben.
Jetzt versucht die Notenbank, die in China eigentlich ein Ministerium ist, gegenzulenken und machte vor einigen Wochen eine seit langem im Raum stehende Drohung wahr: Sie verweigerte den Banken Liquiditätshilfen, um sie zu zwingen, ihr Geld zusammenzuhalten und in die Bilanzen zurückzuholen. Zum großen Knall ließ man es dann zwar nicht kommen, das Risiko von Turbulenzen in der Finanzbranche und ein abkühlendes Wirtschaftswachstum wurde jedoch billigend in Kauf genommen.
Flaute in Europa befürchtet
Um das Wirtschaftsmodell umzukrempeln akzeptiert die im Frühjahr angetretene, neue Führung ein niedrigeres Wachstum. Allerdings: Acht Prozent galten bislang als das Mindeste, um Spannungen im Land zu vermeiden. Die größte Sorge ist, dass die Arbeitslosigkeit ansteigen und es zu Unruhen kommen könnte. Auf die Frage, ob denn 7 Prozent für ein Land wie China überhaupt hinnehmbar seien, antwortete Statistikamtsprecher Sheng Laiyuan am Montag ausweichend, es gäbe hier keine feste Grenze: "Wichtige ökonomische Indikatoren bleiben zwar innerhalb der erwarteten Grenzen, doch für genaue Prognosen bleibt das wirtschaftliche Umfeld zu komplex." Was im Klartext bedeutet, dass sich die Führung von der Wachstumsorientierung früherer Zeiten verabschiedet hat.
Das wiederum hat Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, denn hier leistet China mit 1,2 Prozentpunkten den größten Beitrag zum Wachstum. Zum Vergleich: Die zweitplatzierten USA bringen es auf einen Beitrag von 0,3 bis 0,4 Punkten. Gerade für europäische Firmen ist das Land einer der wichtigsten Exportmärkte: Ohne die Nachfrage aus China droht beispielsweise den großen Autoherstellern in Deutschland eine schwere Flaute.
Das wäre jedoch ein ziemlicher Gesichtsverlust für den neuen Premierminister Li Keqiang, denn noch nie hat Chinas Führung ihr Wachstumsziel verfehlt.
Reformen sollen kommen
Mit einer Reihe von Reformen soll daher vor allem der Binnenmarkt gefördert werden, um auch die Abhängigkeit vom Weltmarkt und den Kredit-Investitionen zu reduzieren. Ermunternde Zahlen gibt es dazu vom chinesischen Einzelhandel, dessen Umsätze im Juni im Jahresvergleich um 13,3 Prozent gestiegen sind.
Dementsprechend erleichtert feierten schließlich die asiatischen Aktienmärkte die neueste Wachstumszahl mit Aktienkäufen und steigenden Kursen. Sie hatten, wie gesagt, auch Schlimmeres erwartet.