In Peking sorgt der neue US-Präsident mit seinen Äußerungen für Verunsicherung.
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Mit der Angelobung von Joseph Robinette Biden Jr. zum 46. Präsidenten der USA hat aus chinesischer Sicht eine deutliche Neujustierung in den Beziehungen zu den USA stattgefunden. In Peking gilt Biden vielen zwar immer noch als risikoscheuer "Internationalist", das könnte allerdings eine Fehleinschätzung sein: Biden und ein Team von hervorragenden Experten wie Kurt Campbell, Ely Ratner oder Rush Doshi haben deutlich gemacht, dass sie die China-Politik von Ex-Präsident Donald Trump im Wesentlichen beibehalten und damit die Fehler des "Pivot to Asia" der Administration Barack Obamas von 2011 vermeiden wollen. Addiert man zu diesem realpolitischen Ansatz die "Soft Power" Bidens, könnte sich bereits kurzfristig eine weitere Machtverschiebung zu Gunsten der USA einstellen.
Wie verunsichert China ist, zeigt sich durch den Druck, den Präsident Xi Jinping persönlich auf die Verhandlungen zum Investitionsabkommen mit der EU ausgeübt hat, um diese noch vor der Angelobung der Biden-Administration zu finalisieren. Auch die kurzfristige Ausrufung eines Forums der "17+1 Staaten" noch im Februar und dass die Regierungssprecherin Hua Chunying es für notwendig befand, genau am Tag der Angelobung erneut die bizarr anmutende Vermutung zu äußern, die USA würden hinter dem Virus Sars-CoV-2 stecken, zeigen die Beunruhigung in Peking.
Bidens bisherige Äußerungen zur künftigen China-Politik der USA zielen direkt auf zwei chinesische Urängste: eine Erschwerung des Zugangs zu Hochtechnologien (Stichwort: "selektive Entkoppelung") und die geografische Einkreisung. Das Leitprinzip des 14. Fünf-Jahres-Plans (2021 bis 2025) unter dem Stichwort "Dual Circulation" ist bereits ein Vorgriff auf die in Peking erwartete Politik einer "selektiven Entkoppelung", vor allem im Zugang zu einigen Bereichen der Hochtechnologie. Es stellt die Stärkung der nationalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit in den Mittelpunkt und priorisiert nicht mehr die Internationalisierung. Auch die zweite Ankündigung, künftig mit kurzfristigen und flexiblen Partnerschaften arbeiten zu wollen, fördert in Peking die seit Deng Xiaoping bestehende Angst vor geografischer Einkreisung zwischen Zentralasien und Japan durch gegen China gerichtete Allianzen. Diesbezüglich lassen sowohl der unter Trump aufgewertete "Quadrilateral Security Dialogue" mit Australien, Japan und Indien als auch die mit US-Alliierten entwickelte Infrastrukturoffensive "Blue Dot Network" die Alarmglocken läuten.
Auf beides hat Xi bereits reagiert. Er spricht von einem "weiteren Langen Marsch" und davon, dass China sich im Stadium eines "langwierigen Krieges" befinde. Wichtige Außenpolitikexperten wie Cui Liru blicken nicht mehr in eine "friedliche Zukunft" oder sehen wie Jin Canrong von der Renmin Universität in der Ära Biden eine "Puffer-Periode", in der sich die Beziehungen zu den USA zwar weiterhin verschlechtern, aber mit geringerer Geschwindigkeit. Selbst Wang Jisi, ein gemäßigter Nationalist und mit "Marsch in Richtung Westen" ein Ideengeber für die Belt and Road Initiative, sieht die China-Politik der künftigen US-Administration als "Trumpismus ohne Trump".