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Ungefähr 40 Millionen Chinesen waren im 19. Jahrhundert opiumsüchtig. Das Gift wurde aus Indien geliefert, wo es unter der Kontrolle der britischen "East India Company" produziert wurde.
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Akmal Shaikh war der erste Europäer nach über 50 Jahren, der in China zum Tode verurteilt wurde. Im September 2007 hatte man ihn am Flughafen Ürümqi, im Nordwesten Chinas, festgenommen. In seinem Koffer waren vier Kilo Heroin. Zwei Jahre später wurde Shaikh exekutiert. Der Fall sorgte international für Aufsehen. Gordon Brown, damals britischer Premier, bat um Gnade für Shaikh. Die chinesischen Behörden antworteten mit folgendem Statement: "Durch die bittere Erinnerung an die Vergangenheit haben wir eine besonders starke Abneigung gegen Drogenschmuggel."
Diese "bittere Erinnerung" bezieht sich auf Opium, das im kollektiven Gedächtnis Chinas eine tiefe Wunde hinterlassen hat. China hatte ein großes Drogenproblem. Wie viele Menschen in China tatsächlich abhängig waren, lässt sich nicht genau sagen. Mitte des 19. Jahrhunderts schätzte ein hoher chinesischer Beamter, dass etwa ein Prozent seiner Landsleute opiumsüchtig wären.
Das scheint eine sehr vorsichtige Schätzung gewesen zu sein. Historiker beziffern die Anzahl der Süchtigen auf bis zu zehn Prozent oder 40 Millionen Menschen. Wir können vielleicht von der größten Massenabhängigkeit in der Geschichte sprechen. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden war enorm.
Britischer Einfluss
Das erkannte auch Kaiser Daoguang. Gegen Ende der 1830er Jahre schickte der Kaiser den als radikalen Opiumgegner bekannten Beamten Lin Zexu in die Hafenstadt Kanton. Zexu sollte das Drogenproblem beseitigen. Zunächst war er auch äußerst erfolgreich darin. Er konnte innerhalb eines Jahres über 70 Tonnen Opium beschlagnahmen. Die Droge wurde öffentlich verbrannt oder ins Meer gespült. Konsumenten und Dealer wurden festgenommen: Chinesen und Europäer, vor allem Briten, denn das Geschäft war fest in ihrer Hand.
Die Briten begannen Ende des 18. Jahrhunderts in Nordindien Opium produzieren zu lassen. Die "East India Company", die größte britische Handelsgesellschaft, gewann zunehmend an Einfluss auf dem Subkontinent. Unterstützt von der britischen Krone stieg sie zur Territorialmacht in Nordindien auf. Eine Handelsgesellschaft wurde zum britisch-indischen Staat. Genau diese Kombination, Staat und Unternehmen, machte das Opiumgeschäft so erfolgreich. Wie ein Staat rief die Company das Monopol auf die Droge aus. Wer also ohne Genehmigung produzierte oder verkaufte, machte sich den Staat zum Feind.
Das war ein entscheidender Schachzug, denn das Geschäft begann zu boomen. Während der nächsten Jahrzehnte vervielfachte die Company die Produktion und exportierte bis zu 7000 Tonnen jährlich nach China. Die UNO schätzt, dass aktuell etwa dieselbe Menge weltweit produziert wird. Der globale Heroinmarkt von heute verarbeitet demnach die gleiche Menge Rohopium wie die East India Company in Nordindien vor 150 Jahren.
Opium bescherte dem britisch-indischen Staat enorme Gewinne, die zwischen zehn und zwanzig Prozent der Gesamteinnahmen ausmachten - mehr als alle anderen Waren zusammen. Nur die Besteuerung von Grund und Boden brachte noch mehr Geld ein. Die Gewinne dürften etwa vierzehn Mal höher als die Herstellungskosten gewesen sein. Was für ein Geschäft!
Das hat auch damit zu tun, dass Opium keine normale Ware ist. Opium ist, wie andere harte Drogen, ein Konsumgut mit besonderen Eigenschaften. Der Konsument ist abhängig, kann also den Konsum nicht oder nur sehr schwer einstellen. Um die Wirkung der Droge konstant zu halten, muss das Konsumlevel gesteigert werden. Auch wenn die Preise steigen, geht die Nachfrage suchtbedingt kaum zurück. Wirtschaftlich gesprochen, würde man sagen, die Preiselastizität von Opium ist sehr gering. Damit unterscheidet sich Opium grundlegend von anderen Waren. Ist der Preis von Seide etwa zu hoch, werden viele Konsumenten auf einen Kauf verzichten. Opiumkonsumenten sind in ihrer Kaufentscheidung wesentlich eingeschränkter.
Reglementierter Anbau
Die eigens gegründete "Opium Agency" verwaltete das Monopol des Kolonialstaates. Ein Apparat mit ca. 2000 Beamten, der jeden Schritt der Opiumproduktion kontrollierte: von der Aussaat am Feld des Bauern, über die Verarbeitung in der Fabrik, bis hin zum Export in Kalkuttas Hafen. Die Agency vergab vor Saisonbeginn Lizenzen an Bauern, die dann auf ihren eigenen Feldern Schlafmohn säten, aus dem das Rohopium gewonnen wurde. In der Lizenz war festgehalten, wer auf welcher Fläche Schlafmohn kultiviert und wie hoch der zu erwartende Ertrag ist. Der Preis war fixiert.
Schlafmohn war eine mühsame Saat. Er brauchte Boden bester Qualität, mit fein geeggter Erde. Am aufwendigsten war jedoch die Ernte. Jede einzelne reife Mohnkapsel musste von Hand eingeritzt werden. So konnte der milchig zähe Saft über Nacht austreten und in eine Schüssel fließen. Vier- bis fünfmal wiederholte ein Bauer diese Prozedur. Dann war die Ernte eingefahren.
Die Bauern selbst profitierten nicht von dem florierenden Drogenhandel. Mit anderen Saaten wie Weizen oder Zuckerrohr hätten höhere Einnahmen erzielt werden können. Trotzdem kultivierten bis zu 1,5 Millionen Bauern Schlafmohn für den Kolonialstaat -sogar in Jahren schwerer Hungersnöte.
Die Vermutung liegt nahe, dass die Bauern nicht freiwillig Opium produzierten. Aber wie hätten 2000 britische Beamte 1,5 Millionen indische Bauern zwingen können?
Ein Blick ins Dorf zeigt, dass es meist mächtige Grundbesitzer waren, die in der Lizenz als Vertreter der Bauern aufscheinen. Sie unterschrieben den Vertrag im Namen der Bauern und kassierten bei Abgabe der Ernte eine Kommission. Aufgrund ihres hohen Status im Dorf konnten sie die Bauern praktisch zwingen, etwa indem sie die Landvergabe an die Bedingung knüpften, dass Schlafmohn kultiviert wird. Die Bauern hatten kaum eine Wahl.
Von den Dörfern transportierte man das Rohopium in eine der zwei Opiumfabriken. Beide lagen am Ufer des Ganges, eine in Patna, die andere in Ghazipur. Letztere war 18 Hektar groß, ein riesiger Gebäudekomplex, bestehend aus mehreren Hallen, umzingelt von hohen Wachtürmen. In der Fabrik herrschte reges Treiben. Tausende Arbeiter wogen, kneteten und formten das schwarze Gold unter strenger Aufsicht britischer Wachen. Zwischen den Hallen, in den Höfen, wurde das Rohopium der Sonne ausgesetzt. Je mehr Flüssigkeit der Masse entzogen werden konnte, desto höher war der Reinheitsgrad der Droge. In der letzten Halle wurden die Opiumkugeln, jede etwa so groß wie eine Melone, in Kisten aus Mangoholz verpackt. Vierzig Kugeln je Kiste. Nun war die Ware fertig für den Export.
Obwohl es auch in England Stimmen gab, die moralische Bedenken lautstark äußersten, erkannten Viele, dass die enormen Profite aus dem Drogenhandel entscheidend für die wirtschaftliche und politische Situation Englands in Asien waren.
Als Lin Zexu, der Anti-Opium-Beamte, dabei war, die Droge zu verbannen, wurden viele nervös. Zu wichtig war das schwarze Gold geworden. Im britischen Parlament debattierte man heftig. Könne man wegen einer Droge einen Krieg beginnen? Die Befürworter argumentierten, es sei wichtig, den freien Handel zu verteidigen. Viele Parlamentarier waren zudem selbst am Opiumgeschäft beteiligt. England entschied sich für Krieg.
Der erste Opiumkrieg
Während Lin Zexu dem Kaiser voller Zuversicht die Nachricht überbrachte, die "Barbaren" hätten ihr Unrecht eingesehen, entsandte das britische Unterhaus bereits eine Flotte mit 16 Schiffen. Im Juni 1840 kam es zu ersten Seegefechten vor der Küste Chinas. Das Flaggschiff der britischen Flotte war die "Nemesis", ein stählernes Dampfschiff. Die hölzernen Dschunken Chinas waren chancenlos. Zwei Jahre später war die britische Flotte auf Flüssen so weit ins Landesinnere vorgedrungen, dass China aufgeben musste. Der erste Opiumkrieg war verloren.
Diese Niederlage markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Chinas. Das Reich der Mitte wurde gewaltsam für fremde Händler und Diplomaten geöffnet. Opium musste toleriert werden. Das verhasste Gift brannte sich tief ins Gedächtnis Chinas ein - eine Wunde, die bis heute noch nicht geheilt ist.
Rolf Bauer, geboren 1984, ist Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien. Er bereiste mehrmals den indischen Subkontinent und forschte am National Archive of India, New Delhi.