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Der "Strategische Partner" der USA ist zum "Strategischen Wettbewerber" avanciert.
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Am Morgen des 11. September 2001, exakt um 8.08 Uhr, schickte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein Memo an seinen Vize-Unterstaatssekretär Stephen Cambone mit einem klaren Auftrag: Eine neue Asien-Strategie, deren Kern eine weniger nachgiebige Haltung gegenüber China sei, solle zur Veröffentlichung vorbereitet werden. Bereits im Wahlkampf zuvor hatte der damalige Herausforderer und nunmehrige US-Präsident George W. Bush eine neue strategische Ausrichtung in der China-Politik der USA gefordert, mit dem Ziel, das Land nicht mehr als "Strategischen Partner", sondern als "Strategischen Wettbewerber" einzuordnen. In Peking war die Besorgnis so groß, das Yang Jiechi, ein persönlicher Freund des Vaters des amtierenden US-Präsidenten, zum chinesischen Botschafter in den USA ernannt wurde.
In außenpolitischen Fragen hatte China eine Dekade an Niederlagen hinter sich: Im Irak-Krieg von 1991 hatten die USA demonstriert, dass die irakische Armee, mit ihren chinesischen Waffensystemen und einer der Volksbefreiungsarmee vergleichbaren strategischen Ausrichtung, kein ernsthafter militärischer Gegner war. Im Kosovo-Krieg von 1999 hatte die diplomatische und militärische Stärke der USA die Schwäche Russlands offengelegt, das als wichtigster Partner in der multipolaren Weltvorstellung galt.
Nach 9/11 musste China erleben, wie sich das sorgfältig zurechtimaginierte multipolare Weltmodell binnen weniger Wochen überholt hatte: In der Zeit zwischen dem 11. September und Ende Oktober 2001 schlossen sich wichtige Partner der US-Koalition an, ohne die Führung in Peking zu konsultieren: Von Vertragspartnern wie Südkorea, Japan, Thailand oder den Philippinen hatte man zumindest eine ambivalentere Haltung erwartet. Auch Russland signalisierte umgehend volle Kooperation. Der bitterste Rückschlag aber war, dass der "Allwetter-Freund" Pakistan sich ebenso unkommentiert für die Wünsche aus Washington öffnete.
Eine geopolitische Urangst
Die Diskussion im Zhongnanhai-Parteihauptquartier zum weiteren Vorgehen war stets gespalten: Vor allem das sicherheitspolitische Establishment ging davon aus, dass der Einmarsch der US-geführten Koalition in Afghanistan weniger dem "Kampf gegen den Terror" galt denn als Vorwand diente, um die Dominanz in Zentral- und Südasien auszubauen, mit dem Ziel einer vollständigen geografischen Einkreisung Chinas. Eine geopolitische Urangst, die vor allem vom wichtigsten USA-Beobachter Shi Yinhong vertreten wurde. Die Befürchtungen reichten von der Etablierung einer den USA freundlich gesinnten Regierung in Kabul über den Aufbau von militärischer Präsenz in Tadschikistan und Usbekistan bis hin zur Installation einer weniger China-freundlichen Regierung in Pakistan.

Die Führung unter Jiang Zemin entschied aber, die Gelegenheit zu nutzen, um die Beziehung zu den USA zu verbessern. Damit wollte sie eine Form privilegierter Mitsprache erreichen, sollte es zu weiteren Militäraktionen gegen Staaten wie den Iran oder den Sudan kommen. China hatte dort massive Investitionen in die Energiebranche getätigt. Weiters erhoffte sich der damalige Verteidigungsminister Cao Gangchuan im Gegenzug Entgegenkommen in der Taiwan-Frage und eine enge Kooperation in der militärischen Ausbildung.
Chinesische Analysten erkannten auch, dass durch die erneute Fokussierung der USA auf den Nahen Osten weitere Konfliktvermeidung höchste Priorität hatte. Man glaubte eine "Periode strategischer Möglichkeiten" (zhanlue jiyuqi) zu erkennen. Einen Zeitraum von "ungefähr zwei Dekaden", in dem sich die Möglichkeit bot, die Vorbereitungen für den globalen Aufstieg Chinas zu treffen. Für alle folgenden chinesischen Führungsgenerationen bis 2018 wurde das zum strategischen Imperativ. Seit 2017 wird China in Washington wieder als "Strategischer Wettbewerber" betrachtet.