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Chinas digitale Angriffsformation

Von Bernhard Seyringer

Politik
Die Strategic Support Force soll China durch die Beschaffung von Informationen und die Durchführung konkreter Operationen strategische Vorteile sichern. Dabei geht es auch darum, die netzwerkbasierte Infrastruktur potenzieller Gegner zu sabotieren oder zu zerstören.
© WZ-Illustration; Material: kevinmcgill from Den Bosch, Netherlands, CC BY-SA 2.0

Die Strategic Support Force soll nicht nur Cyber-Attacken ermöglichen, sondern auch die globale öffentliche Meinung zugunsten der Volksrepublik beeinflussen.


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Am letzten Tag des Jahres 2015 interessierten sich westliche Militärexperten vor allem für ein Thema: Nach all den Gerüchten in den Monaten davor bestätigte das Verteidigungsministerium in Peking schließlich doch den Bau eines zweiten chinesischen Flugzeugträgers in den Werften der Hafenstadt Dalian. China, das zuvor nur auf einen umgebauten Flugzeugträger aus den Restbeständen der ukrainischen Flotte zurückgreifen konnte, war damit endgültig zur maritimen Supermacht aufgestiegen.

Der 31. Dezember 2015 ist aber nicht nur deswegen ein sicherheitspolitisch überaus wichtiges Datum für die Volksrepublik. An diesem Tag wurde in Peking auch die Strategic Support Force als Chinas Cyber-Armee gegründet. Die Truppe soll nachrichtendienstliche Erkenntnisse beschaffen, die Wirtschaftsspionage optimieren und Cyber-Angriffe ermöglichen. Sie soll nach dem Willen von Staatspräsident Xi Jinping aber auch beim Ausbau der "Diskursmacht" behilflich sein, also bei der Einflussnahme auf die globale öffentliche Meinung. Im Gegensatz zum Ausbau von Soft Power durch westliche Staaten betrachtet Peking "Diskursmacht" aber nicht als Konzept zur Attraktivierung des Landes, sondern als Teil der Offensivkriegsführung. Nach sechs Jahren Entwicklung lohnt daher ein Blick auf den aktuellen Stand der Strategic Support Force.

Evolution einer Einsatzdoktrin

In der chinesischen Volksbefreiungsarmee sind seit 1949 etwa zehn Modernisierungswellen umgesetzt worden. Die zweifellos bedeutendste war die Reaktion auf die Beobachtungen des Irakkrieges 1991: Die kampferfahrene irakische Armee, mit ihren chinesischen Waffensystemen und einer der Volksbefreiungsarmee vergleichbaren Organisation, war kein ernsthafter Gegner für die US-geführte Koalition. Der gesamte Aufbau der Streitkräfte, von der Einsatzdoktrin bis zum taktischen Gefechtsplan waren damit hinfällig. Als Reaktion hatte der damalige Präsident Jiang Zemin 1993 die neue strategische Richtlinie der Armee verkündet: den Sieg in "lokalen Konflikten unter Hochtechnologie-Bedingungen". 2004 wurde die Bedeutung der elektronischen Kampfführung unter dem Stichwort "Informationization" noch erweitert, und seit der Veröffentlichung des verteidigungspolitischen Weißbuchs im Juli 2019 gilt das Paradigma der "Intelligenization".

Diese Evolution ist aber nicht nur das Ergebnis technologischer Neuerungen. In Peking reifte die Erkenntnis, dass die strategische Abschreckung mittels Nuklearwaffen zur Durchsetzung nationaler Ziele nur schlecht geeignet ist. Außerdem fürchtete man einen ruinösen Rüstungswettlauf. Noch unter Jiang wurde daher unter dem Stichwort "shashoujian" ("Dolch des Attentäters") begonnen, an Geheimwaffen zu arbeiten, die unterhalb der Schwelle eines offenen Konfliktes einsetzbar sind und Abschreckungsqualitäten besitzen. Der elektronischen Kriegsführung und Cyber-Operationen wurden dafür besondere Bedeutung beigemessen. Sie gelten als Instrumente, um einen asymmetrischen Vorteil gegenüber einem militärisch überlegenen Gegner zu erlangen. Das entspricht dem umfassenden Strategiedenken in Peking, das den Wettbewerb zwischen Staaten als "kampfbereite Koexistenz" betrachtet, mit dem permanenten Ziel, andere in unvorteilhafte Positionen zu manövrieren.

"Eine Atombombe ist harmlos"

Die Gründung der Strategic Support Force erfolgte in einer Phase, in der sich das Aufgabengebiet der Armee nicht mehr auf die territoriale Landesverteidigung beschränkte, sondern um den Schutz chinesischer Interessen jenseits der Grenzen und die Wahrung von Einflusssphären im globalen Technologiewettbewerb erweitert wurde. Die Aufstellung der neuen Einheit war zudem der erste Schritt zu einer effizienten Organisation der elektronischen Kriegsführung und ihrer Zusammenführung mit Weltraumkräften und der psychologischen Kriegsführung. Seit 2012 hatte der führende Experte, Ye Zheng, das eindringlich gefordert.

Das Aufgabenspektrum der Strategic Support Force zielt auf einen strategischen Vorteil durch Informationsbeschaffung sowie die Durchführung von "Informationsoperationen" ab. Ersteres bedeutet das Sammeln und die Aufbereitung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen für die fünf regionalen Militärkommanden sowie für die Weltraum- und Nuklearstreitkräfte. Die Strategic Support Force soll aber auch innenpolitische Spaltungslinien in den angrenzenden Staaten, vor allem in Taiwan, erkennen und für die etwaige Einflussnahme zugunsten Chinas vorbereiten.

Im Bereich der Informationsoperationen geht es dagegen darum, die netzwerkbasierte Infrastruktur potenzieller Gegner mit dem konzertierten Einsatz von Weltraum-, Cyber- und elektronischer Kriegsführung, zu sabotieren oder zu zerstören. Ein solches Szenario hatten Oberst Qiao Liang und Oberst Wang Xiangsui bereits 1999 in ihrem Buch "Unrestricted Warfare" formuliert: Sie sprechen davon, dass ein Angriff auf die Finanzmärkte und andere Netzwerkinfrastruktur die besten Voraussetzungen für eine Offensive schaffen würde, da der Gegner in "Panik, Aufstand und politische Krise" verfällt. "Eine Atombombenexplosion ist dagegen harmlos."

Basis 311 als Kopf

Eine besonders wichtige Aufgabe in der Strategic Support Force kommt dabei der "Basis 311" zu, die auch als "Three-Warfares"-Basis bekannt ist. "Three-Warfares" ist ein Instrument der asymmetrischen Kriegsführung, das bereits 2003 in die strategische Grundausrichtung der chinesischen Armee integriert wurde. Es setzt zum einen auf "Medienkriegsführung" und die Beeinflussung der internationalen öffentlichen Meinung, um Unterstützung für Chinas militärische Vorhaben zu schaffen oder Stimmung gegen potenzielle Gegner aufzubauen.

Im Inland werden derweil kritische Stimmen zum Schweigen gebracht, wie zuletzt die Razzia beim Hongkonger Online-Medium "Stand News" gezeigt hat. Die Plattform stellte daraufhin ihren Betrieb ein.

Die zweite Säule stellt die "juristische Kriegsführung" dar, die internationales Recht - beziehungsweise darin befindliche Lücken - ausnützen soll. Insbesondere in noch nicht exakt umrissenen Rechtsbereichen wie Gebietsansprüche in der Arktis oder im digitalen Raum sollen auf diese Weise Vorteile für China geschaffen werden. Ergänzt wird all das schließlich durch die psychologische Kriegsführung, die ursprünglich mittels Abschreckung oder Schock auf die Demoralisierung des gegnerischen militärischen Personals abzielte.

Hier findet laut Generalleutnant Li Fengbiao, der seit 2019 die Strategic Support Force kommandiert, eine Weiterentwicklung zur kognitiven Kriegsführung (renzhiyu zuozhan) statt. Wesentlicher Punkt der kognitiven Kriegsführung ist, dass sie sich nicht auf einen Konfliktfall oder auf militärisches Personal beschränkt, sondern eine permanente Beeinflussung von Gegnern oder Wettbewerbern mittels Desinformation oder eigenen Narrativen sucht. Das Vorbild ist die Strategie der "Reflexiven Kontrolle" der russischen Streitkräfte. Für Europa bedeutet das, dass die noch recht ungeschliffenen Versuche der chinesischen Einflussnahme während der Corona-Krise wohl erst der Anfang gewesen sind.