Zum Hauptinhalt springen

Chinas High-Tech-Waffen

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Westen verliert traditionelle Dominanz in Sachen Waffentechnologie, warnen Militärforscher.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

London. Militärforscher in London haben davor gewarnt, dass der Westen seine traditionelle Vorherrschaft in der Waffentechnologie einbüßen könnte. Insbesondere Chinas rapide Aufrüstung zu Wasser und in der Luft wird vom Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) als wachsende Herausforderung für die USA gesehen. Die rasche Entwicklung hocheffizienter Waffensysteme durch die Chinesen und durch andere "aufstrebende" Staaten sowie deren Verkauf und Stationierung in aller Welt schaffe ganz neue Sicherheitsprobleme, meinen die IISS-Experten in ihrem "Jahrbuch zur militärischen Balance" auf der Erde: "Für westliche Staaten und ihre Partner wächst stetig das Risiko, sich an mehr Stellen als früher hochentwickelten Offensivwaffen gegenüber zu sehen."

Zwar räumt auch das Nato-nahe Institut ein, dass die USA noch immer die mit Abstand stärkste Militärmacht sind. Die jährlichen Militärausgaben liegen mit rund 605 Milliarden Dollar viermal so hoch wie die Chinas und zehnmal so hoch wie die Russlands. Insgesamt verlagere sich das Gewicht der Rüstungsbemühungen aber merklich nach Asien, wo die Militärausgaben in den letzten vier Jahren um 5 bis 6 Prozent im Jahr gestiegen seien, meldet das Institut in London. Nachdem China Europa vor vier Jahren schon als Region mit den zweithöchsten Militärausgaben weltweit überholt habe, lägen Chinas Ausgaben mittlerweile um fast ein Drittel über denen der Europäer.

China forciere vor allem fortgeschrittene Waffentechnologien und den Ausbau seiner Kriegsflotte. Allein die Küstenwache ist inzwischen offenbar stärker als ganze Kriegsflotten benachbarter Staaten. Generell stehe jedenfalls "die technologische Vorherrschaft des Westens, wie sie uns einmal selbstverständlich war, zunehmend in Frage", meinte am Dienstag Instituts-Direktor John Chipman. "Wir gehen davon aus, dass China auf manchen Gebieten, besonders im Bereich des Luftkampfs, jetzt fast schon mit dem Westen gleichgezogen hat."

Ein von chinesischen Kampfjets verwendeter neuer Raketentyp habe sogar "kein westliches Gegenstück", erklärte der IISS-Chef. Außerdem baue China intensiv seine Forschung sowie den Export seiner modernen Systeme aus. Deren Weitergabe an andere Staaten aber "kompliziere" enorm die Operationsfähigkeit westlicher Piloten - zumal Staaten, die bisher keine solchen Waffen aus dem Westen kaufen konnten, sie nun "aus nicht-westlichen Quellen" erwerben können.

Dass indes für viele europäische Nationen Russland das "Hauptsicherheitsproblem" bleibt, daran haben die Militärexperten keinen Zweifel. In Syrien und der Ukraine demonstriere Moskau ja ganz offen seine militärische Potenz. Überall in Europa habe das zur Frage geführt, "ob europäische Truppenreduktionen in der Vergangenheit zu weit gegangen seien - und ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden sollte", heißt es in dem IISS-Jahrbuch. Immerhin sei die Aktivstärke der Streitkräfte der vier größten EU-Staaten in den vergangenen zwanzig Jahren von 1,3 Millionen auf 716.000 gefallen. Auch die zunehmende Bereitschaft zur Erhöhung nationaler Verteidigungsbudgets in Europa deutet das Institut als Folge wachsender Unruhe. In diesem Punkt löste Chipman gestern einen kleinen Eklat in London aus.

Vorreiter Griechenland

Er legte Berechnungen vor, denen zufolge nur zwei europäische Nato-Staaten - Griechenland und Estland - mehr als 2 Prozent ihres Bruttonationalprodukts für Verteidigungszwecke aufwenden. Sogar die Briten verpassten mit 1,98 Prozent knapp die Nato-Zielvorgabe. Dies löste scharfe Proteste aus im britischen Verteidigungsministerium, das auf 2,2 Prozent kommt, weil es Veteranen-Renten, humanitäre Operationen und anderes einrechnet. Für London wäre es beschämend, die Zielvorgabe nicht erreicht zu haben: Immerhin hat Premierministerin Theresa May zuletzt im Weißen Haus an der Seite Donald Trumps "säumige" Nato-Partner aufgefordert, ihrer Pflicht nachzukommen und dem guten britischen Beispiel zu folgen.

Besorgnis äußerte IISS außerdem zum Brexit-Beschluss. Er und Trumps Rhetorik hätten neue Unsicherheiten geschaffen und gefährdeten potenziell internationale Kooperation und die industrielle Zusammenarbeit des Westens im Militärbereich. Zu einer Zeit, in der immer neue Waffensysteme und Bedrohungen auftauchten, sei es umso wichtiger, eng zusammenzuarbeiten.