Zum Hauptinhalt springen

Chinas KP macht kurzen Prozess

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Kuhn

Politik

Rasches Urteil soll Unruhe vor dem Parteitag im Herbst verhindern.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Peking. Das Provinzgericht in Anhuis Hauptstadt Hefei gilt nicht gerade als Nabel der chinesischen Gerichtsbarkeit. Und dennoch findet hier ab Donnerstag der aufsehenerregendste Prozess der jüngeren chinesischen Geschichte statt. GuKailai muss sich vor dem Richter wegen des mutmaßlichen Mordes an einem Geschäftspartner verteidigen. Die 52-Jährige ist Ehefrau des früheren chinesischen Spitzenpolitikers Bo Xilai, der im Zuge der Affäre aus allen Ämtern entlassen wurde. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete, es gäbe "unwiderlegbare und substanzielle" Beweise dafür, dass Gu und ihr Angestellter Zhang Xiaojun den Briten Neil Heywood vergiftet hätten. Der Geschäftsmann verstarb im November des Vorjahres unter mysteriösen Umständen in einer Hotelsuite in Chongqing. Der Fall erschütterte die chinesische Machtelite, die vor dem Parteitag im Herbst gerade die Ämter neu verteilt. Bo wäre ursprünglich für einen Spitzenposten im mächtigen Ständigen Politbüroausschuss vorgesehen gewesen.

Was war geschehen? Noch im März deutete nichts auf den jähen Absturz des charismatischen Parteichefs von Chongqing hin. Der 63-Jährige hatte sich als Vertreter des linkspopulistischen Flügels mit einem strammen Law-and-Order-Kurs sowie einem Faible für Mao-Romantik einen Namen gemacht. Unterstützt wurde er dabei von Gu: Die Tochter eines Generals gab ihren Beruf als Anwältin für Bos steile Karriere auf. Wirtschaftlich aktiv blieb sie dennoch - und noch in der Zeit, als Bo Xilai Bürgermeister der nordchinesischen Industriestadt Dalian war, lernte sie Neil Heywood kennen.

Brite wollte auspacken

Der britische Geschäftsmann freundete sich mit der Familie an und sorgte unter anderem dafür, dass der heute 24 Jahre alte Sohn Bo Guagua von der teuren Privatschule Harrow in London aufgenommen wurde. Doch das war nicht alles: Die Nachrichtenagentur Reuters meldet unter Berufung auf Polizeikreise, Gu hätte Heywood damit beauftragt, eine große Geldsumme diskret - also an den Behörden vorbei - außer Landes zu bringen. Zum Streit sei es gekommen, als der Brite einen zu hohen Anteil für seine Dienste verlangt habe und außerdem damit drohte, die illegalen Geschäfte auffliegen zu lassen. Ein Fehler, den er mit dem Tod bezahlte.

Den Stein ins Rollen brachte der Chongqinger Polizeichef Wang Lijun, der aus Angst vor der Familie Bo in das US-Konsulat in Chengdu flüchtete und dort Beweise für den Mord an Heywood vorlegte - unter anderem Gewebeproben, die den Giftmord verrieten. Der Leichnam wurde unmittelbar nach der Tat hastig eingeäschert. Das Gericht hat nun zu klären, was wirklich in jener verhängnisvollen Novembernacht passiert ist. Nach Angaben der "South China Morning Post" hätte Gu bereits alles gestanden, und auch das Motiv scheint klar: Laut Xinhua seien Gu und ihr Sohn Bo Guagua in einem "wirtschaftlichen Interessenskonflikt" mit Heywood gestanden. Wegen Korruption oder Geldwäsche ist allerdings vorläufig niemand angeklagt. Und es gibt auch ein Schlupfloch: Gu sei laut Anklage in Sorge um ihren Sohn gewesen, denn Heywood hätte ihm gedroht.

Bo immer noch populär

Das alles deutet darauf hin, dass Peking um Deeskalation bemüht ist. Da die Anklage auf Mord lautet, droht Gu theoretisch die Todesstrafe. Die Sorge um den Sohn wird im Falle eines Schuldspruchs als mildernder Grund angegeben werden. Durch das vorliegende Geständnis wird auch ein kurzer Prozess von nur einem oder zwei Tagen erwartet, bevor sich das Gericht zur Urteilsverkündung vertagt.

Ein kurzer Prozess liegt im Interesse von Chinas Führung, die gerade im Badeort Beidaihe zu einem Konklave zusammengetroffen ist, um die politischen Posten neu zu verteilen. In wenigen Wochen findet der 18. Parteitag der KPCh statt, und dieses entscheidende Ereignis darf keinesfalls von Unstimmigkeiten getrübt werden. Staats- und Parteichef Hu Jintao sowie dessen Nachfolger Xi Jinping wollen Geschlossenheit und werden es daher vermeiden, die Anhänger des immer noch populären Bo Xilai völlig zu vergrämen. Der steht zwar momentan unter Hausarrest, darf jedoch aus Gründen der Parteiräson ebenfalls auf Milde hoffen. Er soll vor eine "interne Disziplinarkommission" gestellt werden, schlimmstenfalls droht ihm also der Parteiausschluss.

Überraschenderweise sind beim Prozess gegen Gu Kailai auch zwei britische Diplomaten zugelassen, was in China unüblich ist und die Redlichkeit des Verfahrens unterstreichen soll. Als ehemalige Anwältin hat die Angeklagte jedenfalls Erfahrung vor Gericht - über einen in den USA gewonnenen Prozess schieb sie einst sogar ein Buch mit dem Titel "Uphold Justice in America". Nun endet die steile Karriere ausgerechnet vor einem verschlafenen Provinzgericht - an der Loyalität der Richter in Chongqing, der Machtbasis von Bo Xilai, gab es offensichtlich Zweifel.

China: Harmonie über alles

(leg) Der Traum vom Aufstieg nach ganz oben ist für Bo Xilai wohl endgültig ausgeträumt: Vor einem Jahr noch, als Chinas KP ihren 90. Geburtstag zelebrierte, galt der linke Flügelmann der Partei, der in seiner Stadt Chongqing "Rote-Lieder-Kampagnen" zu Ehren von Parteigründer Mao abhalten ließ und mit äußerster Härte gegen Bandenkriminalität vorging, als aufgehender Stern an Chinas Polithimmel. Die maoistische Parteilinke sah in ihm ihren kommenden Mann. Doch dann kamen die Mordaffäre um Heywood und die peinliche Flucht von Bos Polizeichef ausgerechnet in ein Konsulat des Hauptrivalen USA dazwischen.

Das war für chinesische Verhältnisse zu viel: Im Land der Mitte ist es wichtig, nicht "das Gesicht zu verlieren". Konflikte werden nur selten offen ausgetragen, das Ideal der "Harmonie" steht über allem. Bo aber setzte sich sowohl inhaltlich wie formal vom Stil der Pekinger Führung ab, redete oft frei, statt Statements vom Blatt zu lesen. Er und seine charismatische Frau galten schon als "Chinas Kennedys".
Im Internet wurde er von einer wachsenden Fangemeinde unterstützt. Dass sich Bo nun selbst ein Bein gestellt hat, kommt der Führung zupass: In Krisenzeiten will man die Parteidisziplin nicht aufweichen. Nach dem Personenkult um Mao und dem Machtkampf um die Nachfolge hat sich in China auf ein zwar starres, aber funktionierendes System einer kollektiven Führung eingeschworen.

Der Fall Bo Xilai 14. November 2011: Der britische Geschäftsmann Neil Heywood, ein Intimus von Bo Xilai, wird in einem Hotelzimmer in der von Bo verwalteten 28-Millionen-Stadt Chongqing vergiftet aufgefunden.

6. Februar 2012: Wang Lijun, der kurz zuvor von Bo gefeuerte Polizeichef von Chongqing, taucht unter und nach ein paar Tagen in einem US-Konsulat wieder auf – und beschuldigt Bo, Chongqings "oberster Mafiaboss" zu sein.

15. März: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua gibt die Entlassung Bos als Parteichef von Chongqing bekannt.

10. April: Bo verliert auch seinen Sitz im Politbüro. Gegen seine Frau GuKailai werden Ermittlungen wegen Mordes an Heywood aufgenommen.

13. Juni: In Kambodscha wird ein französischer Bekannter von Bo und Gu festgenommen, aber nicht an China ausgeliefert.
<br style="font-weight: bold;" /> 26. Juli: Mordanklage gegen GuKailai.