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Noch im Abgang zeigte sich Bo Xilai, der am Donnerstag gefeuerte mächtige Chef der chinesischen 32-Millionen-Metropole Changqing, als Schüler seines Idols Mao Zedong: Der rote Tyrann war mit gebieterischer Strenge gegen die konfuzianischen Traditionen des Landes vorgegangen. Zu diesen gehört das Ideal einer "harmonischen" Gesellschaft, das sich, Jahrzehnte nach Mao, wieder auf breiter Front durchgesetzt hat in China. Zum Schlimmsten, was einem Chinesen passieren kann, zählt demnach, bloßgestellt zu werden, sein "Gesicht zu verlieren".
Lange soll man in Peking versucht haben, den ehrgeizigen Bo nach der Affäre um seinen Polizeichef, der - unchinesischer geht’s nicht - in Frauenkleidern in ein US-Konsulat geflüchtet war, zum freiwilligen Rücktritt zu bewegen. Der Führung wäre damit das Eingeständnis von Konflikten in der Partei erspart geblieben - und auch Bo hätte irgendwie sein Gesicht behalten. Doch der schillernde Kämpfer, dessen populistische Attitüden so gar nicht zum sonst eher distinguierten Habitus der chinesischen Führung passen wollen, spielte nicht mit.
Dies wirft ein Schlaglicht auf die Bruchlinien in Chinas Führung. Der größte Graben soll sich zwischen der Gruppe der sogenannten Jugendligisten, also Absolventen der Partei-Ochsentour, und den sogenannten Prinzlingen auftun. Letztere sind meist Söhne prominenter KP-Helden. Bo zählt ebenso dazu wie der designierte Staats- und Parteichef Xi Jinping. Dass Bos Hauptrivale Wang Yang, sein Vorgänger in Chongqing, als Jugendligist gilt, dass diese Gruppe mächtige Fürsprecher wie Staats- und Parteichef Hu Jintao hat, legt den Schluss nahe, dass sich hier die Ligisten gegen die Prinzen durchgesetzt haben.
Dies wäre wohl zu einfach gedacht. Denn die politischen Differenzen wiegen nicht minder schwer. Der Rüffel, den Premier Wen Jiabao Bo indirekt, aber deutlich erteilte, klang wie ein Ordnungsruf: Das Land könne erneut in ein Chaos "wie in der Kulturrevolution" stürzen. Bo hatte in Chongqing deren Liedgut wiederbelebt, hatte auf Gleichmacherei und Staatskapitalismus gesetzt.
Die Führung hingegen will die Dominanz staatlicher Unternehmen verringern und den privaten Sektor deutlich stärken. Die steuernde Stellung der Partei und des Staates soll zwar erhalten und sogar weiter ausgebaut werden, aber eher als Schiedsrichter denn als Akteur. Prinzling hin, Prinzling her - diese Linie wird auch vom künftigen starken Mann Xi mitgetragen. In den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Stürmen setzt die KP mehr denn je auf Geschlossenheit - Abweichler, die die Harmonie stören, kann sie nicht gebrauchen.