Zum Hauptinhalt springen

Chinas "Neue Seidenstraße" und der Ukraine-Krieg

Von Bernhard Seyringer

Wirtschaft
Die wichtigste Transportverbindung vom Reich der Mitte nach Europa verläuft hauptsächlich über russisches Territorium (Symbolbild). Angesichts der EU-Sanktionen sucht man nun auf beiden Seiten neue Routen und Möglichkeiten.
© getty images / Danny Hu

Die Route verläuft großteils über Russland, mit Hochdruck arbeitet China nun an neuen Transportwegen nach Europa.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen EU-Sanktionen gegen Russland zwingen unterschiedliche Transport- und Logistikakteure entlang der "Neuen Seidenstraße" zum Umdenken. Für Peking war die Tatsache, dass die wichtigsten Eisenbahnrouten zwischen China und der EU alle über russisches Territorium verlaufen, stets politisch brisant. Ein wesentlicher Hintergrund für die "Neue Seidenstraße" war die Diversifizierung der Transportkorridore und damit die Reduzierung der Abhängigkeit von Russland. Aktuell wird mit Hochdruck an neuen Transportwegen gearbeitet.

Die nahe Zukunft ist aber unklar: Die russische Infrastruktur bietet derzeit die mit Abstand besten Lösungen, China will seinen strategischen Partner in Moskau nicht mehr als notwendig vergraulen, und die neuen Akteure Türkei und Iran machen kein Geheimnis daraus, dass sie die Abhängigkeiten der globalisierten Wirtschaft des Westens für ihr geopolitisches Kalkül nutzen.

Die bisherige EU-China-Verbindung

In der ersten Hälfte des Jahres 2022 stagnierte das Frachtaufkommen zwischen China und Europa erstmals in der Geschichte. Bisher war die Eisenbahnverbindung durch kräftige Wachstumsraten gekennzeichnet, wie etwa der Zuwachs von 85 Prozent im Jahr 2021.

Der hauptsächlich über russisches Territorium verlaufende Nordkorridor stellte bisher die Hauptverbindungsachse zwischen der Europäischen Union und China dar. Über diese Verbindung werden 68 Prozent der Güter von China in die EU und 82 Prozent von der EU in Richtung China transportiert.

Die Strecke verläuft über den polnisch-weißrussischen Grenzübergang Malaszewicze, über Moskau ins sibirische Jekaterinburg und teilt sich dort in Richtung Kasachstan - zum mit Abstand wichtigsten Grenzübergang Dostyk/Alashankou nach China - oder verläuft noch weiter Richtung Osten, nach Irkutsk am Baikalsee bis zum chinesisch-russischen Grenzübergang Zabaikalsk.

Diese Strecke wird in der Regel in 12 bis 18 Tagen bewältigt. Das bedeutet eine deutliche Zeitersparnis im Vergleich zu einer durchschnittlichen Dauer von 30 Tagen mit dem Containerschiff. Der Grenzübergang Malaszewicze, über den 85 Prozent der transportierten Güter laufen, hatte allerdings bereits 2021 seine Kapazitätsgrenze erreicht.

Unterschiedliche Logistikunternehmen haben alternative Routen über das russische Gebiet von Kaliningrad entwickelt. 2021 wurden zwölf Prozent der Fracht zwischen China und der EU über Kaliningrad umgeleitet. Mit Svisloch/Siemanianowka wird aktuell ein weiterer der insgesamt vier Grenzübergänge zwischen Weißrussland und Polen ausgebaut. Allerdings wird er erst im Jahr 2025 in Betrieb genommen.

Aus der Sicht unterschiedlicher chinesischer Provinzregierungen, die den Eisenbahnverkehr mit Europa immer noch stark subventionieren, bieten die transsibirischen Korridore die beste Infrastruktur. Das liegt auch an der 2012 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion, die Weißrussland, Russland und Kasachstan zu einer Zollunion vereint.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist der gesamte Gütertransport ausgesetzt. Das ist für den Eisenbahnverkehr zwischen der EU und China aber nicht wesentlich, denn der Anteil am Frachtvolumen lag vor dem Krieg bei nur ungefähr zwei Prozent. Die Route durch die Ukraine wird schon seit 2016 nicht mehr genutzt. Auf Anweisung der staatlichen russischen Eisenbahngesellschaft RZD wurde die Kooperation mit der ukrainischen Eisenbahngesellschaft eingestellt. Dadurch wurde die Ukraine auch aus dem Güterverkehr zwischen China und Europa ausgeschlossen.

Ist der Mittelkorridor die logistische Zukunft?

Der Mittelkorridor ist einer der sechs Korridore, die im 2015 formulierten Strategiepapier zur "Neuen Seidenstraße" dargestellt wurden. Es handelt sich um eine ungefähr 6.500 Kilometer lange Strecke von Xi’an in Westchina ins kasachische Aktau, über das Kaspische Meer nach Baku in Aserbaidschan, weiter nach Tiflis in Georgien, via Fähre über das Schwarze Meer in den rumänischen Hafen von Constanta. Das Frachtaufkommen auf dem Mittelkorridor stieg um 52 Prozent im Jahr 2021 und in den ersten vier Monaten des Jahres 2022 um weitere 30 Prozent. Gaidar Abdikerimov, der Generalsekretär der TITR (Trans-Caspian International Transport Route Association), hat im Mai dieses Jahres, eine Versechsfachung des Güteraufkommens für dieses Jahr prognostiziert. Constanta ist jedoch bereits jetzt an seiner Kapazitätsgrenze.

Der Mittelkorridor war vor dem Ukraine-Krieg mit einem Anteil von drei bis fünf Prozent am Güteraufkommen zwischen der EU und China nur von geringer Bedeutung. Meist undurchschaubare Grenzformalitäten, das Fehlen gemeinsamer Standards und Regularien sowie unterschiedliche Transportkosten reduzierten die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zum Nordkorridor.

Das hat sich im Frühjahr 2022 verändert: Logistikunternehmen wie die niederländische Rail Bridge Cargo, die finnische Nurminen Logistics Gruppe oder der dänische Branchengigant Maersk bieten seit Mai Logistikverbindungen entlang des Mittelkorridors an. Auch die Politik hat bereits reagiert: Anfang Juli dieses Jahres haben die Transportminister der Türkei, Bulgariens, Serbiens und Ungarns den Quadrilateral Coordination Council gegründet. Der Fokus liegt auf Entwicklung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur.

Südkorridor wäre um eine Meeresquerung kürzer

Daneben wird noch ein Südkorridor entwickelt, der über die Türkei und weiter durch Serbien und Ungarn verläuft. Auch hier existieren massive Defizite in der Eisenbahninfrastruktur, jedoch muss im Vergleich zum Mittelkorridor nur ein Meer - das Kaspische - überquert werden. Das bedeutet, dass die China-Europa-Verbindung via Türkei um zehn Tage kürzer ist als die Verbindung über das Schwarze Meer, die immerhin vierzig Tage in Anspruch nimmt.

Obwohl die Folgen des Ukraine-Krieges Russland auch in diesem Bereich hart treffen, scheint sich der Kreml noch nicht geschlagen zu geben: Der Transportminister, Witali Saweljew und der zuständige Minister für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis, Aleksey Chekunkov, haben im Juni ein massives Modernisierungsprogramm für Häfen und Eisenbahnlogistik im Fernen Osten Russlands angekündigt. Auch wenn dazu noch keine näheren Details bekannt sind.

Effizientester Bahntransportweg noch nicht abgeschrieben

Dass auch China seinen effizientesten Eisenbahntransportweg in die EU noch nicht abgeschrieben hat, zeigt, dass Mitte Juli eine Direktverbindung zwischen dem Hungary-China Business and Logistics Cooperation Park in Budapest und Shijiazhuang, der Hauptstadt der Provinz Hebei, über Russland eingerichtet wurde. Aus chinesischer Sicht handelt es sich dabei um eine sehr zukunftsträchtige und wichtige Verbindung zwischen Xi Jinpings Musterstadt Xiong’an, im Großraum Peking-Tianjin-Hebei, und Europa. Die logistische Schlagader für den chinesischen Export von grüner Technologie, vor allem von Elektrofahrzeugen.

Aus Sicht der Europäischen Union sind beide Varianten problematisch: Einerseits ist eine Rückkehr zur Normalität mit Russland und auch Weißrussland mittelfristig wohl kaum vorstellbar. Andererseits würde der Türkei eine weitere Schlüsselstellung zugestanden.