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Chinas Unis konkurrieren mit dem Westen

Von Stefan Beig

Wissen

Harvard-Professor Kirby spricht an Uni Wien über neue Herausforderungen. | Junge Chinesen streben nach Wissen. | Wien. China wird zusehends ein ernster Konkurrent für Europa und die USA. Dies zeigt nicht nur Chinas Wirtschaftswachstum, sondern auch sein fulminanter Zuwachs im Bereich der höheren Bildung. Die Zahl studierender Chinesen verdreifachte sich in den letzten zehn Jahren. Derzeit gibt es über 2200 chinesische Hochschulen und Universitäten, an denen etwa 23 Millionen Chinesen studieren. Im Jahr 2025 wird China mehr Studenten haben als Europa und die USA zusammen.


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"Früher war der Westen eine Herausforderung für China, heute ist es umgekehrt", meint der amerikanische Sinologie und Harvard-Professor William Kirby. Bei der ersten Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultätsvorlesung an der Uni Wien erläuterte der renommierte China-Historiker am Mittwochabend die Herausforderungen der Unis im 21. Jahrhundert. Der Rolle Chinas widmete er dabei besonders viel Aufmerksamkeit.

Die Forschung sieht gewöhnlich China im 20. Jahrhundert nur als Opfer ausländischer Aggression. Kirby tritt diesem gängigen Klischee entgegen. Vielmehr sei die Integration nicht-chinesischer Einflüsse in die chinesische Gesellschaft erfolgreich gelungen und vorbildlich für andere Kulturen. Der große Erfolg der Chinesen beruhe gerade auf ihrer Lernfähigkeit. Gemeinsam mit anderen asiatischen Kulturen würde China heute von seiner vom Konfuzianismus geprägten Lernkultur profitieren.

Die gigantische Zahl junger Chinesen, die nach Bildung streben, ist nicht nur für das Land selbst eine Herausforderung. Heinz Engl, Vizerektor für Forschung an der Uni Wien, spricht von einer "dramatisch steigenden Ausbildungsqualität" von Chinas Unis, die zu einer immer stärkeren Konkurrenz werde.

China investiert viel Geld in technische Studien. Im Bereich der Nano-Wissenschaften wird es vermutlich Europa bald übertreffen. Ein Defizit des chinesischen Bildungssystems ist für Kirby die geringe Förderung geisteswissenschaftlicher Studien. Gerade diesen komme an führenden Unis eine zentrale Rolle zu. "Das eigentliche Ziel einer Uni ist es, Absolventen hervorzubringen, die zu kritischem Denken fähig sind und Führungsqualitäten haben." Genau hierfür sei die Geisteswissenschaft wichtig. Von Uni-Rankings hält Kirby wenig. "Man kann die Qualität von Bildung nicht messen."

Europa wird Ziel für

chinesische Studenten

Die wachsende chinesische Universitätslandschaft wird zweifellos ein großer Arbeitsmarkt für westliche Wissenschaftler. Andererseits nimmt auch die Zahl von chinesischen Studenten im Westen zu. Traditionell ziehen asiatische Studenten eher in die USA. Das hat sich jüngst aus politischen Gründen geändert. "Seit dem 11. September verzeichnen wir in den USA einen Rückgang von 40 Prozent an chinesischen Studenten", berichtet Kirby. "Wegen der Sicherheitsmaßnahmen wurden die Einwanderungsbestimmungen verschärft." Seither wird auch Europa zusehends zum Studienziel für junge Chinesen. Das spüre gerade auch die Uni Wien, betonte Vizerektor Heinz Engl.

"China kopiert viel von den USA, nicht aber von Europa", meinte Uni-Wien-Rektor Georg Winckler. Das US-Bildungssystem sei leistungsfähiger, das deutsche Wissenschaftssystem breche hingegen auseinander. Die Zeit der Humboldtschen Doktoratsstudien sei vorbei und "die staatliche Dominanz geht zurück. Der Staat lässt den Unis wieder mehr Raum." Für den künftigen Erfolg europäischer Unis sei vor allem zweierlei wichtig: mehr Autonomie und mehr Geld.