Fiktive Anstellung im Visier der Justiz. | Berufung ist noch möglich. | Paris/Wien. Die Vergangenheit hat Jacques Chirac eingeholt. Noch als er französischer Staatspräsident war, soll er sich vor dem Tag gefürchtet haben, an dem er sein Amt und somit seine Immunität gegen Strafverfolgung verliert. Das glaubten zumindest viele seiner Landsleute. Gut zwei Jahre nachdem er von Nicolas Sarkozy als Staatsoberhaupt abgelöst wurde, sieht es so aus, als müsste er sich tatsächlich noch vor Gericht verantworten.
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Vorgeworfen wird Chirac die Veruntreuung öffentlicher Gelder und Vertrauensbruch. Delikte, die in seine Zeit als Pariser Bürgermeister (1977 bis 1995) fallen. Mindestens 21 Personen sollen durch Chirac gut bezahlte Posten im Rathaus erhalten haben, ohne jemals für die Stadt gearbeitet zu haben. Mitunter im Visier der Justiz sind der Chauffeur eines Parteifreunds Chiracs oder Projektleiter, die in Diensten seiner RPR-Partei standen. Kolportierte 3,5 Millionen Euro sollen diese fiktiven Angestellten den Steuerzahler gekostet haben.
Viele Franzosen zweifelten bis zuletzt daran, dass es je dazu kommen könnte, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht verantworten muss. Hatte doch die Staatsanwaltschaft verbissen für die Einstellung des Verfahrens gekämpft. Aber die Untersuchungsrichterin blieb hart und entschied, dass Chirac der Prozess gemacht werden müsse.
Das Verhalten des Staatsanwalts nährte die Spekulationen in Medien, dass es hinter den Kulissen geheime Absprachen gegeben hätte. Eine Vermutung, die schon aufgekommen war, als sich Nicolas Sarkozy darauf vorbereitete, seinen Intimfeind Chirac im Amt zu beerben. Dieser habe letztlich davon abgesehen, Sarkozy dabei Steine in den Weg zu legen und sich im Gegenzug Schutz vor Strafverfolgung gesichert, munkelte man.
Verstärkt wurde der Verdacht zuletzt dadurch, dass Chirac aus dem Rufmord-Prozess um die sogenannte Clearstream-Affäre herausgehalten wurde. In diesem wird Ex-Premier Dominique de Villepin vorgeworfen, er habe versucht, Sarkozy als Empfänger von Schmiergeldern aus einem Waffengeschäft darzustellen. Die Frage, ob Chirac davon gewusst habe, wurde nie rechtlich relevant gestellt.
Selbst jetzt bleibt Chirac noch ein theoretisches Schlupfloch in dem Veruntreuungs-Verfahren. Denn die Staatsanwaltschaft kann gegen den Entscheid der Untersuchungsrichterin noch berufen. Ob Chirac der Prozess gemacht wird, würde dann das Berufungsgericht entscheiden, was eine Verzögerung von bis zu einem Jahr mit sich brächte. Das es soweit kommt, gilt mittlerweile jedoch als unwahrscheinlich.
Die Strafen, die auf Chirac im Falle einer Verurteilung zukommen, sind mehr als saftig: bis zu zehn Jahre Haft und 150.000 Euro Buße für die Veruntreuung und bis zu drei Jahre Haft und 375.00 Euro Buße für den Vertrauensbruch.
Der Ex-Präsident selbst blickt dem Prozess "ruhig und entschlossen" entgegen. Er habe niemals etwas Unrechtes getan. An manches, räumte er ein, könne er sich allerdings nicht mehr erinnern.