Paris - Während Zehntausende Pariser am Sonntag die prachtvolle Militärparade auf den Champs-Elysees zum Quatorze Juillet, dem Tag des Bastillesturms, bejubelten, versuchte ein Irrer mit einschlägigen Verbindungen zum Neonazi-Milieu den Staatschef Jacques Chirac zu erschießen. Er verfehlte den Präsidenten, doch die Sicherheitsmaßnahmen zum Nationalfeiertag werden jetzt sorgfältig überprüft.
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Einen Steinwurf vom Triumphbogen entfernt nahm der 25-jährige Student Maxime Brunerie am Sonntag den Präsidenten mit seinem Gewehr ins Visier und feuerte einen Schuss ab. Kurz vor Beginn der Parade mit fast 4.000 Soldaten wollte er Chirac treffen, der vor wenigen Wochen gegen den rechtsextremen Jean-Marie Le Pen die Präsidentschaftswahl gewann. Die Reichweite seines Karabiners 22 LR hatte der Schütze allerdings überschätzt. Chirac war nicht in Schussweite, wie Innenminister Nicholas Sarkozy mitteilte.
Chirac fuhr wie geplant in einem offenen Jeep zur Bühne am Ende der Champs-Elysées. Den Schuss bemerkte er gar nicht, wie es hieß. Die Parade, die ganz im Zeichen der französisch-amerikanischen Freundschaft stand und von 168 Kadetten der US-Militärakademie West Point angeführt wurde, verlief nach Fahrplan.
Der Schütze wurde überwältigt, ein Selbstmordversuch misslang. Er gestand, er habe Chirac töten wollen, "um die Welt zu verändern". Die folgenden Polizeiverhöre deuteten darauf hin, dass Brunerie "verwirrt" war und möglicherweise eher in eine psychiatrische Klinik als ins Gefängnis gehört. Dennoch kam seine Tat nicht völlig aus dem politischen Vakuum. Vielmehr war der 25-Jährige für seine Verbindungen zu Hooligans und Skinheads bekannt. Seit 1997 kannte ihn die Polizei als gefährlichen rechtsradikalen Hitzkopf. Brunerie nahm an Neo-Nazi-Kundgebungen teil und war Mitglied der rechtsextremen Studentenorganisation GUD. Bei den Gemeinderats- wahlen 2001 hatte er auf der Liste der rechtsextremen Nationalen Republikanischen Bewegung (MNR) des früheren Le-Pen-Stellvertreters Bruno Megret kandidiert, und zwar für das 18. Pariser Arrondissement, wie die Tageszeitung "Liberation" am Montag berichtete. Megret erklärte, seine Partei habe mit dem Anschlag nichts zu tun. Das MNR habe "jede Form von Extremismus und Aktionismus immer abgelehnt" und verurteile diese "schändliche Tat".
Die Durchsuchung von Bruneries Wohnung ergab keine Hinweise auf eine Vorbereitung des Anschlags. Er befand sich am Montag noch unter psychiatrischer Beobachtung.
Schnodderiger Le Pen
Rechtsextremen-Chef Le Pen sagte, es handle sich "wahrscheinlich um einen Verrückten". Schon allzu häufig habe es "angebliche Attentate" gegeben. "Ich glaube nicht an einen Attentatsversuch auf den Präsidenten,", so Le Pen - mit dem lapidaren Nachsatz "was ich übrigens auch nicht wünschen würde".
Chirac legte offenbar keinen Wert darauf, sich zu dem Attentatsversuch zu äußern. Er überließ es seiner Frau Bernadette, am Sonntag Nachmittag die Informationen über den Schützen vom Triumphbogen zu bestätigen. Eine Dreiviertelstunde wurde Chirac zu Mittag im Elysee-Palast von drei Journalisten interviewt. Kein Wort fiel über den versuchten Anschlag und den Attentäter, der zur selben Zeit im Polizeipräsidium verhört wurde. Chirac ist bekannt dafür, dass er den direkten Kontakt zur Bevölkerung liebt. Bei ungezählten Anlässen ist er vom offiziellen Protokoll abgewichen und auf eine Menschenmenge zugelaufen, um Hände zu schütteln und Kinder in die Arme zu nehmen - Szenen, die seit diesem 14. Juli bei den Leibwächtern noch größeres Unbehagen auslösen dürften als bisher.
Innenminister Sarkozy hat jedenfalls eine Untersuchung der Sicherheitsmaßnahmen einleiten lassen. Zweifellos wird man sie verstärken. Ein weniger verwirrter - und besserer - Schütze hätte am Sonntag wohl tatsächlich "die Welt verändert". Politiker dürften sich angesichts solcher Bedrohungen wohl noch mehr abschotten. Was wiederum der Politikverdrossenheit Vorschub leisten könnte.