Drei Tage wurde verhandelt, doch die Agrarreform ist immer noch nicht beschlossene Sache. Schuld an der Verhandlungsmisere ist laut Diplomatenkreisen der französische Präsident Jaques Chirac, der zwar beim Agrarministerrat nicht persönlich, jedoch als unsichtbarer Verhandler einen Kompromiss torpedierte. Vom EU-Gipfel in Thessaloniki aus hätte der Franzose die Vetokarte gezückt und EU-Kommissar Franz Fischler auch mit seinem neuen Papier abblitzen lassen.
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Der neue Vorschlag des griechischen Ratspräsidenten Georgios Drys, der in Abstimmung mit Fischler erstellt wurde, fand auch diesmal keine französische Zustimmung. Dabei hatte Fischler sogar von seinem Liebkind, der Entkopplung der Agrarprämien von der Produktion, Abschied genommen. Sie war einer Teilentkopplung gewichen. 75 Prozent der Förderungen sollen künftig durch pauschale Zahlungen ersetzt werden. In dieser Frage geht es um die Agrarsubventionen für Getreide und Rinder. Schweine- und Geflügelzüchter erhalten keine Zuschüsse aus EU-Töpfen.
Auch bei den Interventionspreisen für Milch und Getreide war Fischler dem erbitterten Gegner entgegengekommen: Die Preise sollten viel geringer als ursprünglich geplant gesenkt werden. Doch dieser neue Vorschlag reichte den Franzosen immer noch nicht.
Für Fischler war es "das letzte Angebot". Doch der Österreicher wird noch viel Verhandlungsgeschick aufbieten müssen, um seinen hartnäckigsten Kontrahenten zur Einsicht zu bewegen. Chirac jedenfalls wollte das Agrarthema am EU-Gipfel in Porto Carras nahe Thessaloniki weiterverhandeln. Doch Gastgeber und EU-Ratspräsident Costas Simitis lehnte dieses Ansinnen ab. Damit waren Agrardebatten tabu.
Chirac torpedierte aufgrund der "lebenswichtigen nationalen Interessen" die weiteren Verhandlungen von Griechenland aus. Dem eigentlichen Verhandler Herve Gaymard waren dadurch die Hände gebunden. Er sprach nach der Vertagung davon, dass "in Wirklichkeit die Verhandlungen erst jetzt beginnen". Landwirtschaft sei eben ein sehr schwieriges Thema. Die Deutschen zeigten Verständnis für die französische Blockade. Eine Reform, die in zentralen Punkten mit dem alten System breche, müsse von allen Ländern mitgetragen werden, bemerkte ein Sprecher von Verbraucherministerin Renate Künast. Auch sie hat sich von der einstigen Reformbefürworterin zur Gegnerin gewandelt, da sie ihre Haltung im eigenen Land nicht durchsetzen konnte. Der Deutsche Bauernverband erwies sich als stärker.
Franz Fischler lässt sich durch die Querschüsse nicht entmutigen. Er ist zuversichtlich, dass diese Woche, wenn die Verhandlungen am Mittwoch weitergehen, eine "echte Reform" beschlossen werden kann. Sein Kollege Pascal Lamy hofft gleichfalls auf eine Einigung, denn nur diese werde die Position der Europäer bei der nächsten WTO-Runde in Cancun stärken.