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Chirac vor Korruptionsverfahren?

Von Reinolf Reis

Europaarchiv

Immunität endet nach Amtsübergabe. | Vorwürfe aus Zeit als Bürgermeister. | Paris. (afp) "Es gibt zweifelsohne ein Leben nach der Politik", sinnierte Jacques Chirac jüngst, "bis zum Tod." Seinen Lebensabend stellt sich Frankreichs scheidender Staatspräsident als Unruhestand vor, er will den Franzosen "auf andere Weise dienen". Untersuchungsrichter haben eine konkrete Idee: Ihnen schwebt ein Dienst an der Wahrheitsfindung vor. Chirac soll sich bald zu einer der Affären äußern, die ihm aus seiner langen Zeit als Pariser Bürgermeister von 1977 bis 1995 und Chef seiner neogaullistischen RPR-Partei nachhängen. Letztlich droht dem 74-Jährigen ein hässlicher Prozess.


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Wie ein Damoklesschwert hängt vor allem die Affäre um die "RPR-Scheinbeschäftigten" im Pariser Rathaus seit Jahren über Chiracs Haupt. Seine (inzwischen in der UMP aufgegangene) RPR ließ Mitarbeiter dreist von den Behörden der Stadt finanzieren. Manche RPR-Arbeitskräfte wurden auch direkt von Baufirmen bezahlt, die im Gegenzug öffentliche Aufträge erhielten. Chiracs politischen Ziehsohn Alain Juppé - damals RPR-Generalsekretär und Pariser Vizebürgermeister - kam die Affäre bereits teuer zu stehen: Er erhielt 2004 in zweiter Instanz 14 Monate Haft auf Bewährung und war ein Jahr lang unwählbar.

Wird Chirac schon

im Juni vorgeladen?

Ab Mitte Juni können Ermittler in Nanterre sich auch Jacques Chirac vornehmen. Denn der Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung endet einen Monat nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt. Laut Informationen der "International Herald Tribune" ist eine Vorladung gleich in der zweiten Juni-Hälfte geplant.

Ein Ermittlungsrichter hielt im Jahr 1999 fest, dass beschlagnahmte Akten Indizien für eine Beteiligung Chiracs an der Affäre enthielten. Im Zentrum steht eine handschriftliche Notiz von 1993.

Darin schlug der damalige Bürgermeister Chirac vor, eine städtische Angestellte wegen der Arbeit zu belohnen, die sie für den RPR-Vertreter Jean-Claude Patsy geleistet habe. Der Haken: Patsy war bis 1992 Agrarbeauftragter der Partei, doch niemals bei der Stadtverwaltung beschäftigt. Für die Ermittler legt dies nahe, dass Chirac das "System" kannte und daran mitwirkte.