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Chiracs Appelle verhallen

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Umfragen bekräftigen die Tendenz in der französischen Bevölkerung für ein Nein zur EU-Verfassung. In Frankreich wollen Präsident Jacques Chirac und Premier Jean-Pierre Raffarin das Ruder herumreißen. Hilfe aus Brüssel hat bisher nicht gewirkt und scheint nun unerwünscht.


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Es war die vierte aufeinander folgende Umfrage innerhalb von zwei Wochen, die mehr Franzosen, die "sicher abstimmen gehen", gegen die EU-Verfassung als dafür ausweist. 54 zu 46 Prozent ist das Verhältnis bei der gestern von der Tageszeitung "Le Figaro" veröffentlichten Befragung. Der französische Präsident Jacques Chirac und Premier Jean-Pierre Raffarin stehen mit dem Rücken zur Wand. Erst am Montag appellierte Chirac aus dem fernen Tokio eindringlich, der Verfassung zuzustimmen. "Es ist von höchster Bedeutung, dass die Stimme Frankreichs und sein Einfluss Teil des künftigen Entscheidungsprozesses sind", sagte er.

Noch vor einer Woche hatte Chirac sich ein "Nein" der Franzosen "gar nicht vorstellen" können. Hatte er doch beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs die Umformulierung der Schwerpunkte für die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie erreicht, der die Hauptschuld an der schlechten Stimmung für das Referendum am 29. Mai gegeben worden war. Aber auch das Bekenntnis von Luxemburgs Premier und EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zum "europäischen Sozialsystem" brachte keine Wende.

Nun hat der Sender France 2 letzteren ausgeladen, am 21. April an einer politischen Diskussion teilzunehmen. Dies sei auf Druck Chiracs geschehen, schreiben französische Medien. Der Präsident fürchte, dass schon zehn Minuten von Barrosos liberalen Ansichten negative Folgen für das prekäre Votum haben könnten. Erst jüngst hat Chirac den von der Kommission angestrebten "Neoliberalismus" als "neuen Kommunismus" bezeichnet. Der Fernsehsender habe die Teilnahme Barrosos an der TV-Debatte lediglich verschoben, spielte eine Kommissionssprecherin gestern in Brüssel die Angelegenheit herunter. Einen neuen Termin gäbe es noch nicht.

Ganz wo anders als in Brüssel ortet der Chef der französischen Grünen die Problematik: "Jene, die Nein zur Verfassung sagen wollen, sind gerade jene, die Nein zur Politik von Raffarin und Chirac sagen", sagte Yann Wehrling zum Radiosender Europe 1. Die Appelle aus dem Regierungslager seien daher kontraproduktiv.