Selten hat in Frankreich ein Gesetzentwurf derart kontroverse Debatten ausgelöst wie das geplante Kopftuch-Verbot, das ab dem kommenden Schuljahr an sämtlichen öffentlichen Schulen gelten soll. Am Dienstag passierte die von Präsident Jacques Chirac initiierte Vorlage die Nationalversammlung mit 494 Prostimmen - 36 Abgeordnete votierten dagegen. Ihr muss im März auch der Senat zustimmen.
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Das aus nur drei Paragrafen bestehende Gesetz verbietet das Tragen von Symbolen und Kleidungsstücken, mit denen Schüler und Schülerinnen auf "auffällige" Weise ihre religiöse Zugehörigkeit zeigen. Mit ihrem laizistischen Vorstoß will Frankreichs bürgerliche Regierung vor allem den wachsenden Einfluss islamischer Gruppen aus dem Schulbetrieb verbannen, nachdem in den vergangenen Jahren die Zahl der Schülerinnen, die demonstrativ vcerhüllt zum Unterricht erschienen, drastisch zugenommen hat. Das Verbot "ostentativer" Zur-Schau-Stellung der religiösen Zugehörigkeit gilt aber auch für Juden und Christen; sie dürfen keine Kippas und keine großen Kreuze tragen. In Privatschulen und auf Universitäten sind derartige Symbole weiterhin erlaubt.
Die Sozialisten stimmten gestern gemeinsam mit der konservativen Regierungspartei UMP für das Gesetz. Zwar hatten sie sich mit ihrer Forderung, dass nicht nur "auffällige", sondern bereits "sichtbare" Religionssymbole aus dem Schulunterricht verbannt gehörten, bei Premierminister Jean-Pierre Raffarin nicht durchgesetzt, dafür hatte er ihnen zugesichert, dass die Lex ein Jahr nach In-Kraft-Treten einer Zwischenbilanz unterzogen wird. Die Linksopposition kann dann allfällige Änderungswünsche geltend machen. Le Pens ultrarechte Nationale Front votierte gegen den Gesetzentwurf. Sie hofft damit auf Stimmenzuwächse unter den 5 Millionen Moslems bei den Regionalwahlen im März.
Raffarins Zugeständis an die Linskoppposition und die Aufhebung des Fraktionszwangs für die nicht durchgehend überzeugten UMP-Abgeordneten bei der gestrigen Abstimmung ist ein deutlicher Beleg für die gesellschaftspolitische Brisanz, die Chiracs Laizismus-Projekt in sich birgt.
Nicht nur Frankreichs Moslems und ihre Geistlichkeit haben sich offen dagegen gestemmt und ihre Abneigung mit eindrucksvollen Massendemonstrationen unterlegt. Auch innerhalb der Regierung hatte es kritische Stimmen gegeben. Das Kopftuchverbot gefährde die Integration und gebe den islamistischen Kräften weiteren Auftrieb, hieß es. Innenminister Nicolas Sarkozy ließ sich von Chiracs Gesetzesvorlage erst überzeugen, als die renommierte Kairoer Universität al-Azhar den Sanktus dafür erteilte. In Frankreichs Bevölkerung findet das Kopftuchverbot hingegen breite Zustimmung. 70 Prozent sind dafür, dass zumindest Schulen von religiösem Eifer verschont bleiben.