Ein Hindernis bei globalen Gesundheitskrisen ist, dass sie aus der internationalen Agenda fallen, sobald sie aus den Medien verschwinden.
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Wenn die Hilfsgelder versiegen, haben die Katastropheneinsatzteams vor Ort keine Mittel mehr, um auf Warnungen zu reagieren, Patienten zu behandeln und weitere Tote zu verhindern. So sieht die Realität in Haiti aus, das von der größten Cholera-Epidemie in der jüngsten Geschichte heimgesucht wird, mit 9000 Toten und mehr als 735.000 Infizierten seit Oktober 2010.
Wir alle erinnern uns an das schreckliche Beben vor fünf Jahren, das Haiti in Schutt legte. Die Bilder von verfallenen Gebäuden und Überlebenden inmitten des Chaos sind in unserer Erinnerung verankert. Und wir erinnern uns auch an die hervorragende internationale Mobilisierung für den Wiederaufbau und den Kampf gegen die Cholera-Epidemie, die Monate später auftrat. Verständlicherweise gibt es heute keine TV-Kameras mehr in Haiti; die sind jetzt in Nepal, wo eine ähnliche Katastrophe herrscht; so wie sie davor aus Westafrika über den Ebola-Ausbruch berichteten.
Aber wir dürfen die Cholera nicht vergessen. Die Epidemie in Haiti ist noch immer eine humanitäre Notlage, die dringender Aufmerksamkeit bedarf. Wie würden wir reagieren, wenn in irgendeinem anderen Land 28.000 Fälle von Cholera für 2015 prognostiziert würden? Das ist nämlich die WHO-Prognose, und es kann noch schlimmer werden, wenn wir nicht sofort den Kurs korrigieren. Nach einem anhaltenden Rückgang seit 2012 haben starke Regenfälle im September, gepaart mit einem Mangel an Ressourcen für eine angemessene Reaktion, den positiven Trend wieder umgekehrt. Die Cholera-Fälle stiegen drastisch von etwa 1000 pro Monat auf fast 1000 pro Woche. Die Situation hat sich seither nicht gebessert. Allein zwischen Jänner und März gab es in Haiti 113 Cholera-Tote und 12.000 Neuerkrankungen.
Trotz der alarmierenden Lage und der besorgniserregenden Schätzungen für 2015 verschwand die Cholera-Epidemie von den Radarschirmen der Geldgeber. Wegen der Ressourcenknappheit wurden 91 der 250 Behandlungszentren in Haiti geschlossen, und viele internationale Partner zogen ab. Für heuer braucht die humanitäre Gemeinschaft in Haiti dringend 36 Millionen Dollar für mobile Überwachungsteams, für rasche Hilfe, für die medizinische Betreuung der Kranken, für die Reparatur von Wasserleitungen und Sanitäreinrichtungen in den Behandlungszentren, für Kampagnen zu Impf- und Hygienemaßnahmen.
Die Cholera ist eigentlich leicht behandelbar: Die Patienten brauchen bloß genug Flüssigkeit, während die Antibiotika wirken. Im
21. Jahrhundert sollte niemand an Cholera sterben müssen. Aber Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt. Das Gesundheitssystem ist massiv eingeschränkt, und nur einer von vier Einwohnern hat Zugang zum nationalen Abwassersystem. In ländlichen Gebieten ist es noch schlimmer, Kranke müssen viele Stunden zu Fuß gehen, um ein Cholera-Behandlungszentrum zu erreichen. Das schaffen nicht alle.
Wir dürfen nicht zulassen, dass das so weitergeht. Wir müssen unsere Hilfe für Haiti aufrechterhalten.
Die Cholera kann eliminiert werden. Wir haben die Strategien, Roadmaps und Koordinationsmechanismen. Was wir jetzt brauchen, ist ein größeres internationales Engagement. Unsere Unterstützung jetzt zu stoppen, hieße alles zu verlieren.