Die Botschaft hätte eigentlich zeitgerecht vor den Osterfeiertagen kommen können und einer Menge Leute das schlechte Gewissen ob all der Eier und des Schinkens etc. erspart. Doch der Glaube ans Cholesterin und seine Auswirkungen - Atherosklerose! Infarkt! - ist offensichtlich stärker als die harten Fakten, die das US-Wissenschaftsmagazin "Science" bereits am 30. März dieses Jahres (Vol. 291, S. 2536 bis S. 2545) veröffentlichte. Anders ist es wohl kaum zu erklären, warum der Artikel "The Soft Science of Dietary Fat" von Gary Taubes bisher, soweit bekannt, keinerlei Nachhall in den sonst so nach-publizierfreudigen Medien gefunden hat. Denn an Brisanz mangelt es dem exzellent recherchierten Bericht keineswegs, wie schon der Einleitungssatz beweist: "Die Ernährungswissenschafter haben das Speisefett dämonisiert, doch 50 Jahre und Hunderte Millionen Dollar für die einschlägige Forschung vermochten keinen Beweis dafür zu erbringen, dass fettarme Ernährung zu einem längeren Leben verhelfen kann."
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Dabei war sich die American Heart Association (AHA - Amerikanische Herzgesellschaft) schon im Jahr 1984 so sicher gewesen, "dass die Atherosklerose bis zum Jahr 2000 besiegt" sein würde, nachdem die National Institutes of Health (NIH - die amerikanischen Gesundheitsinstitute) "jeden Amerikaner ab dem Kleinstkindalter angewiesen hatten", das Fett in seiner Ernährung zu reduzieren. Unterstützt wurde dies durch den 700 Seiten umfassenden "Report über Ernährung und Gesundheit", in dem Fett zum absolut ungesündesten Bestandteil der amerikanischen Ernährung erklärt worden war.
Wissenschaftliche Ausschüsse wurden ins Leben gerufen, dies auch in der Folgezeit zu untermauern, Ärzte, Ernährungsexperten, Gesundheitsorganisationen, Konsumentenschützer und vor allem Journalisten mobilisiert, die Botschaft vom "schmierigen Killer" flächendeckend zu verbreiten. Das gelang bemerkenswert gut. "In Amerika fürchten wir nicht mehr Gott oder den Kommunismus, aber wir fürchten das Fett", zitiert Taubes den Wissenschafter David Kritchevsky vom Wistar Institute in Philadelphia, der 1958 erstmals über Cholesterin publizierte.
Gesunde Geschäfte
Und noch jemand vernahm die Botschaft mit Interesse, nämlich die Lebensmittelindustrie: Mehr als 15.000 fettreduzierte Produkte finden sich heute in den Supermarktregalen der USA. Und eine eigene Forschungsindustrie ist mittlerweile damit befasst, schmackhafte Fettsubstitute zu kreieren, die absolut fettfrei sind, und diese mit einem enormen Aufwand an Werbung zu lancieren.
Das ursprüngliche Langzeitprojekt der Nationalen Gesundheitsbehörden - nämlich dem Land die drastischen positiven Auswirkungen der fettreduzierten Diät vor Augen zu führen - starb bereits 1999 eines heimlichen Todes. Weil, wie sich unter dem Strich herausstellte, die diversen eingebundenen Wissenschafter trotz des gigantischen Aufwandes an Mitteln nicht in der Lage waren, diese Zielvorstellungen in irgend einer Weise zu untermauern.
Tatsächlich nehmen sich die Fakten hierzu bescheiden aus: Seit Beginn der 70er Jahre sank die Fettaufnahme der Amerikaner von über 40 auf gerade 34 Prozent der Gesamtkalorienmenge in der Nahrung. Und auch der durchschnittliche Serumcholesterinspiegel konnte gleichermaßen gesenkt werden. Doch nichts davon impliziert irgendwelche Auswirkungen auf die Gesundheit und ebensowenig auf die tatsächlich niedrigere Zahl an tödlichen Herzerkrankungen.
Bessere Versorgung
Zu diesem Ergebnis kam auch eine 10-Jahres-Studie dazu (publiziert 1998 im "New England Journal of Medicine"), deren Autoren festhielten, dass nicht die Inzidenz für diese Erkrankungen gesunken ist, sondern dass sie nur deshalb nicht so häufig letal enden, weil die medizinische Versorgung besser geworden ist. Was eine AHA-Statistik bestätigt, derzufolge die Zahl medizinischer Interventionen gegen Herzkrankheiten in den USA zwischen 1979 und 1996 von 1,2 Millionen auf 5,4 Millionen pro Jahr angestiegen ist.
Doch auch der erwartete Effekt auf das Körpergewicht und die Zahl der Diabetesfälle blieb aus, ja noch viel schlimmer: "Das genaue Gegenteil ist eingetreten", räumt Bill Harlan von der Abteilung Gesundheitsverhütung der NIH ein.
Fest im Glauben
Den Glauben an die neue Religion mit ihrem "Bösen" (Cholesterin) und ihrer Heilserwartung an das "Gute" (Entsagung davon) vermochten unterdessen nicht einmal die 20-Jahres-Studie der angesehenen Harvard School of Public Health an Krankenschwestern und die beiden Begleitstudien - in denen immerhin die Daten von 300.000 AmerikanerInnen über einen langen Zeitraum erfasst wurden - zu erschüttern.
Obwohl sie durchaus dazu angetan waren, da sich aus ihnen kein Zusammenhang zwischen Fettkonsum und Herzerkrankungen ableiten ließ und weil sie die Vermutung nahelegten, dass einfach ungesättigte Fette wie etwa Olivenöl lediglich ein geringeres Risiko dafür darstellen, während mehrfach ungesättigte Fettsäuren (wie etwa in Margarine) sogar negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnten.
Eine Erfolgsgeschichte
Zusammengefasst, und im Hinblick auf die daraus resultierenden, bestens florierenden Wirtschaftszweige von Designer-Food bis hin zu den bis dahin noch gar nicht erwähnten Lipid-senkenden Medikamenten, darf konstatiert werden, dass die Geschichte des Cholesterins recht eigentlich eine weitere amerikanische Erfolgsgeschichte ist (von der nur im Nebeneffekt ein paar mitteleuropäische Olivenbaum-Besitzer geringfügig profitieren).
Bewunderung verdient diese Geschichte schon deshalb, weil sie so voller Widersprüche ist, wofür der Biochemiker Ancel Keys (University of Minnesota, Twin Cities) ein weiteres Beispiel liefert. Keys empfahl den Amerikanern schon 1952, das Fett in ihrer Ernährung auf 30 Prozent der Gesamtkalorienmenge zu reduzieren, wiewohl er gleichzeitig durchaus zugab, dass es "nur einen minimalen direkten Hinweis für den Einfluss der Ernährung auf Atherosklerose gebe" und dieser erst bewiesen werden müsste.
Die Cholesterin-Panik hat unterdessen jedes Land der Erde erreicht, in dem Wohlstand und damit ausreichend schlechtes Gewissen - die Quintessenz der alle Grenzen überschreitenden amerikanischen Gesundheitsphilosophie - herrschen. Die Anti-Fett-Bewegung hat ihre Grundlage in der puritanischen Auffassung, "dass etwas Schlechtes ein Übel als Ursache hat, und dass man eine Herzattacke erleidet, weil man etwas falsch gemacht hat - wie etwa, dass man zuviel von etwas Schlechtem gegessen hat, anstatt genügend von etwas Gutem zu essen" (John Powles, Epidemiologe an der Universität Cambridge).
Besonders fatal daran ist, dass es lange dauern wird, ehe wieder die Vernunft zum Zug kommt und jene Skeptiker, die diese Entwicklung schon lange kritisch verfolgt haben, endlich Gehör finden werden.
Bezüglich der Atherosklerose ist es dafür hoch an der Zeit. Immerhin, zwei Ernst zu nehmende Ansätze gibt es zum Teil schon eine geraume Weile. Da ist zunächst das Stoffwechselprodukt Homocystein - ein nach Auffassung namhafter Experten bisher weitgehend außer Acht gelassener Risikofaktor -, das mit größter Wahrscheinlichkeit eine Rolle in der Pathogenese spielt, wie hier wiederholt berichtet wurde.
Chronische Infektionen
Und eine aktuelle österreichisch-italienische Studie liefert Indizien dafür, dass chronische Infektionen das Atherosklerose-Risiko zumindest deutlich erhöhen. Darüber und über weitere Aspekte des "Science"-Artikels berichtet morgen, Dienstag, die Forschungsseite der "Wiener Zeitung".