Stärker dosierte Lipidsenker wirken keineswegs besser. | Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit bleiben bestehen. | Wien/Dallas. Auch die drastische Senkung des "bösen" LDL-Cholesterins hat keine Auswirkungen auf koronare Todesfälle und nur unwesentliche auf nicht tödliche Infarkte. Das ergab eine Studie - IDEAL ("Incremental Derease in End Points Through Aggressive Lipid Lowering") -, die vergangene Woche beim Kongress der US-Herz-Gesellschaft (AHA) in Dallas präsentiert wurde.
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Der Pharmakonzern Pfizer, der sich ein besseres Studienergebnis erwartet hatte, teilte dessen ungeachtet mit, an der Entwicklung einer "Wunderpille" festzuhalten, die das LDL-Cholesterin um 60 Prozent senken und das "gute" HDL-Cholesterin um bis zu 66 Prozent erhöhen soll.
8888 Post-Infarkt-Patienten aus Skandinavien und den Niederlanden mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren hatten an der IDEAL-Studie teilgenommen und waren an Polikliniken oder von niedergelassenen Kardiologen über einen Zeitraum von fünf Jahren entweder mit 80 mg Atorvastatin oder mit 20 mg Simvastatin (die Dosis konnte nach sechs Monaten auf 40 mg erhöht werden) täglich behandelt worden.
Wie zu erwarten, wurde der LDL-Cholesterinwert mit dem hochdosierten und wirkungsstärkeren Atorvastatin deutlich stärker gesenkt als mit Simvastatin, nämlich um 104mg/dl gegenüber 81 mg/dl bei einem Ausgangswert beider Gruppen von 121mg/dl.
Nicht signifikant
Eigentliches Ziel der Therapie ist allerdings nicht die Cholesterinsenkung, sondern ein weiteres Fortschreiten der Herzerkrankungen zu bremsen, um künftige Ereignisse wie koronare Todesfälle, Hospitalisierung wegen nicht-tödlicher Infarkte und Herzstillstände zu verhindern. Solche Ereignisse traten bei 463 (10,4 Prozent) der mit Simvastatin und bei 411 (9,3 Prozent) der mit Atorvastatin Behandelten auf - womit das Signifikanzniveau verfehlt wurde. Und im Endpunkt "Tod" waren beide Gruppen mit 8,4 Prozent (Simvastatin) gegenüber 8,2 Prozent (Atorvastatin) identisch.
Auch die weiteren Daten und ihre Interpretation geben keinen Anlass zum Jubeln: Unter der Hochdosisbehandlung sank die Rate der nicht-tödlichen Herzinfarkte von 7,2 auf 6 Prozent und die schweren kardiovaskulären Ereignisse gingen um 13 Prozent zurück. Anders dargestellt bedeutet dies, dass "1000 Patienten über fünf Jahre mit der höheren Dosis von Avorstatin behandelt werden müssten, um gegenüber der Simvastatinbehandlung 68 zusätzliche kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern", so das Deutsche Ärzteblatt.
Ziemlich schlecht schnitt die aggressive Cholesterinsenkung schließlich bei der Verträglichkeit ab, was zu einer Therapie-Abbruchrate von 9,6 Prozent führte.
Das "Deutsche Ärzteblatt" verhehlt auch nicht, worum es im Hintergrund vor allem ging: "Im letzten Jahr beklagte sich der Hersteller Pfizer über die Preisfestsetzung seines Lipidsenkers Sortis®, dessen Wirkstoff Atorvastatin mit anderen, schwächer wirkenden Statinen in die gleiche Festbeitragsgruppe eingestuft worden war." Bis dahin hatten die Kassen bei vier Millionen Verschreibungen pro Jahr für Deutschlands umsatzstärkstes Arzneimittel mehrere hundert Millionen Euro bezahlen müssen.
Keine Prophylaxe
Indessen: Auch nach der Rücknahme des Lipidsenkers Cerivastasin (Lipobay® von Bayer) infolge Dutzender Todesfälle und zahlreicher Fälle dauernder Gesundheitsschäden im Jahr 2001 werden Statine von allen Herstellern insbesondere als Herzinfarkt-Prophylaxe gepriesen, obwohl es bis heute keinen Hinweis auf eine solche Wirkung gibt. Und einige der neuen Lipidstudien "geben sich das Erscheinungsbild von Leitlinien und benutzen die Sprache der Evidence-Based-Medicine", so der deutsche Mediziner Karlheinz Bayer. "Ansatzweise rechnen sie vor, mit Statinen in der Prävention ließe sich Geld sparen in der Vermeidung einer Therapie, und ihre Nichtverordnung sei eine Unterlassung."
Bayer hat die Ergebnisse von sechs großen Studien ausgewertet und zieht daraus unter anderem den Schluss: 93 Prozent überleben innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren ohne, 94,3 Prozent mit Lipidsenkern: "Alle Studien haben gezeigt, dass die Senkung des Cholesterinwerts nicht parallel geht zur Senkung des Infarktrisikos." Das griffige Cholesterinmodell, wonach sich Cholesterin in den Gefäßen ablagert und Infarkte verursacht, sei ebenso wenig belegbar, "denn es finden sich in etwa der Hälfte der Infarktfälle keine Plaques."
Krankheit gesucht
Doch zu irgendetwas müssen Statine doch gut sein, weshalb ihre potenziellen Anwendungsgebiete laufend ausgeweitet werden. Auf Alzheimer, Krebs, Multiple Sklerose etc - irgendwann wird sich schon eine passende Krankheit dafür finden lassen.