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Chrétien, das Schlachtross

Von Thomas Burmeister

Politik

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Seine Gegner im Wahlkampf nannten ihn einen "Dinosaurier", weil er schon lange im Geschäft ist - der 66-jährige Jean-Chrétien bescherte seiner Partei zum dritten Mal die absolute Mehrheit im kanadischen Parlament.

Bei Freunden in der Liberalen Partei gilt er als "politisches Schlachtross" - seit Montagabend als ein unbesiegbares. Chrétien schaffte, was seit 1945 keinem anderen kanadischen Premier gelungen war.

Für den Mann aus ärmlichen Verhältnissen - er wurde als 18. Kind eines Sägewerksarbeiters in Quebec geboren - war der neuerliche Wahlsieg der größte Triumph seiner Laufbahn. Dabei hatte es in den Wochen vor der Abstimmung Momente gegeben, wo das Ende seiner Ära nahe schien. "Mr. Chrétien muss abtreten", forderte die renommierte Zeitung "Globe and Mail", die den Liberalen nahe steht. "Er regiert wie eine Ein-Mann-Band und liebt die Macht um ihrer selbst Willen."

Der Premier reagierte rasch: In der zweiten Hälfte des Wahlkampfes ließ er sich öfter mit dem populären Finanzminister Paul Martin sehen. Er streute sogar aus, dieser solle ihn in zwei Jahren beerben - was dem als ehrgeizig bekannten Premier allerdings nur wenige abgenommen haben dürften.

Dass Chrétien nicht nur ein Kämpfer, sondern auch ein kühl rechnender Taktiker ist, hat er allein mit dem Timing der Wahl bewiesen. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist mit knapp sieben Prozent so niedrig wie seit langem nicht. Die Regierung hätte nach der Verfassung bis 2002 weiter im Amt bleiben können. Doch zwei Faktoren standen im Kalkül Chrétiens dagegen: Zum einen kommt langsam ein Ende der starken wirtschaftlichen Wachstums in Sicht. Zum anderen legte der neue Frontmann der größten Oppositionspartei, Stockwell Day von der konservativen Kanadischen Allianz, bei Umfragen stetig zu. In einem Jahr wäre es für die Liberalen sicher schwieriger gewesen, ihre Macht zu verteidigen.

Zudem hatte Chrétien für die "Richtungsentscheidung" viel versprochen. Die Milliardenüberschüsse des Budgets sollen zum Ausbau sozialer Leistungen und zur Förderung unterentwickelter Regionen verwendet werden. Das gefiel den Wählern offenbar besser, als die von Day verlangten deutlichen Steuersenkungen.