Viele fliehen vor dem Nahostkonflikt. | Besorgnis wegen der Hamas. | Jerusalem. "Ich gehöre zum Staat Israel, sehe mich aber als Palästinenser", berichtet Raed R., ein katholischer Christ, der 1980 in Jerusalem geboren wurde. Etliche seiner Verwandten befinden sich in Westbank. "Offiziell bin ich nicht israelischer Staatsbürger, sondern habe von Geburt an ein israelisches Reisedokument, das mir eine Aufenthaltsgenehmigung und großteils die gleichen Rechte wie normalen Staatsbürgern gewährt. Genau genommen gehöre ich zu keinem Staat." Echte Diskriminierung würde er in Israel nicht erfahren. "Die Israelis haben keine Scheu, einen Araber als Arbeitskraft anzustellen."
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Doch sein Herz schlägt für Palästina. "Meiner Meinung nach steht dieses Land unter Besatzung. Zu Ostern war uns der Zutritt zur Grabeskirche verwehrt. Die Checkpoints und die Sperrmauer sind eine große Ungerechtigkeit. Ich finde es einfach unglaublich, dass Christen nicht nach Jerusalem beten gehen können, obwohl sie nur 20 Minuten entfernt wohnen." Gemäß der Volkszählung von 2006 gibt es in Israel 148.000 Christen, davon 120.000 mit arabischer Muttersprache. In der Westbank leben 50.000 arabische Christen, im Gazastreifen 1000.
Im heutigen Israel und den palästinensischen Territorien waren vor einem Jahrhundert 20 Prozent der Bevölkerung Christen. Heute sind es zwischen zwei und drei Prozent. Politische Spannungen - vor allem der Nahostkonflikt - trieben sie zur Flucht. Unter den 712.000 Palästinensern, die bei der Gründung des israelischen Staates geflohen sind, waren etwa 50.000 Christen. Einige blieben in Israel zurück, wo sie ihre Religion weiterhin ausüben können und vom Militärdienst befreit sind.
Raed befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung. "Für Jerusalem wäre es eigentlich am besten, wenn es einen internationalen Sonderstatus bekäme, weil es ganz einfach Zentrum für drei Religionen ist." Benachteiligt seien die Christen unter der palästinensischen Autonomiebehörde nicht. "Es gibt eine christlich-palästinensische Partei, Christen haben auch führende Positionen inne." Der Bürgermeister Bethlehems ist etwa Christ, obgleich dort die Christen heute nur mehr 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen und nicht mehr - wie früher - in der Mehrheit sind. Ebenso gibt es christliche Abgeordnete im Parlament der palästinensischen Verwaltung, in der Knesset (dem israelischen Parlament) gibt es meist einen christlichen Araber.
"Wir sind ein Volk"
Spannungsfrei verläuft das Zusammenleben auch bei den Palästinensern nicht. "Nach der Regensburger Rede des Papstes wurden in Jerusalem mehrere Kirchen niedergebrannt." Und auch der Nahostkonflikt bringt die Christen mitunter zwischen die Fronten. "Manche ungebildete Leute verbinden die Politik der USA mit dem Christentum. Das ist unfair. Wir Palästinenser sind ein Volk - ob Christen oder Muslime."
Einen Anstieg an Attacken gegen christliche und mit dem Westen assoziierte Institutionen gab es im Gazastreifen, seitdem die Hamas dort im Juni 2007 die Macht übernahm. Vor einem Jahr explodierte eine Bombe bei einem Fast-Food-Restaurant in Gazastadt: Die Einrichtung wurde völlig zerstört. Kurz davor gab es einen Anschlag auf die von Nonnen betriebene Schule Rahabat al-Wardia. Die offizielle Hamas-Administration verurteilte öffentlich die Anschläge und kündigte eine Aufklärung an, die bisher nicht stattfand.
Kritik kam von der Hamas auch am Papstbesuch. Hamas-Pressesprecher Fawzi Barhoum kritisierte die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung, da sie die Akzeptanz des Staates Israel bedeute. Rael räumt ein, dass die Hamas als Regierungspartei unangenehme Konsequenzen für die Christen bedeuten könnte. "Die Hamas will einen Staat auf islamischer Grundlage. Dann würde es für die Christen nicht leicht werden. Als Christen sind wir nicht dafür."
Großem Jubel war der Papst während seiner Reise hingegen in der Westbank begegnet. "Unser Papst ist unsere Hoffnung", verkündeten Plakate in Bethlehem auf Arabisch und Englisch. Die Straßen waren mit Flaggen des Vatikans und der Palästinenser geschmückt. Besonders die Christen empfingen Benedikt XVI. wie einen Helden. "Der Papstbesuch motiviert uns, in unserem Land zu bleiben", meint ein 27-jähriger christlicher Palästinenser.
Aus Sicht des Beiruter Jesuiten und Islamwissenschafters Samir Khalil Samir ist es notwendig, dass die Kirchen im Nahen Osten weiterhin eine Rolle spielen. Abgesehen davon, dass der Nahe Osten Urheimat des Christentums sei, hätten die Kirchen eine wichtige "Brückenfunktion". Das orientalische Christentum stehe immer zwischen zwei Welten: der östlichen und der westlichen, zwischen Judentum und Islam. Die christliche Identität der Kirchen im Orient sei eine "Identität einer be- und häufig auch getretenen Brücke".