)
Der Wiener Koch und "Küchenphilosoph" Christian Wrenkh über die Wurzeln des Vegetarismus, Essen als Kulturgut, kulinarischen Konservativismus und den neuen Trend zur Feinschmeckerei.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wiener Zeitung: Herr Wrenkh, Ihr Name gilt nach wie vor als Inbegriff der fleischlosen Küche. Sind Sie selbst Vegetarier?Christian Wrenkh: Nein. Für mich ist die vegetarische Küche weniger ein Bekenntnis als vielmehr eine Herausforderung, ein kulinarisch-künstlerisches Experiment.
Das heißt, Sie essen ab und zu auch gern ein Wiener Schnitzel?
Wiener Schnitzel fällt für mich in den Bereich Exotik. Andererseits agieren wir in Österreich ferngesteuert, sobald Parniertes auf den Tisch kommt. Offensichtlich sind wir an diesen Geschmack derart gewöhnt, dass selbst Gourmets und Ernährungsbewusste hie und da nicht widerstehen können.
Seit wann gibt es den Trend zum Vegetarismus in Österreich?
Mit politischen Ereignissen wie der Volksabstimmung gegen Zwentendorf oder der Besetzung der Hainburger Au entwickelte sich vegetarisches Essen in den 80er Jahren zu einer Art gesellschaftspolitischem Instrument. Für den Vegetarier ist das Essen ein relativ einfaches Mittel, um sich gegen vorgegebene Strukturen aufzulehnen. Die systematische Verweigerung tierischer Produkte stellt unsere Gesellschaftsordnung auf den Kopf. Lassen Sie mich das etwas ausführlicher erklären: Die herkömmliche Aufteilung am Teller entspricht dem Prinzip: A + 2B. Das heißt, wir essen eine Hauptspeise (A) mit zwei Beilagen (2B), etwa ein Stück Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse. Diese Struktur repräsentiert eine klare Hierarchie, die Parallelen zum traditionellen Familienbild aufweist: Der Vater ist der Hauptbestandteil - das Fleisch. Wer das verweigert, negiert das angestammte Familienoberhaupt, untergräbt die hierarchische Gliederung der Gesellschaft.
Sind Vegetarier also gesellschaftspolitische Revolutionäre?
Natürlich nicht ausschließlich, aber die Gesellschaftskritik spielt eine wesentliche Rolle. Ich kenne etwa kaum Vegetarier im Alter zwischen 50 und 70, aber sehr viele zwischen 15 und 25. Obwohl mir persönlich die Ideologisierung des Vegetarismus nicht behagt, ist er für viele junge Menschen eine Möglichkeit, sich als eigenständige Persönlichkeit abzugrenzen und einen selbst definierten Lebensstil zu pflegen.
Sind Vegetarier eine Dekadenzerscheinung?
Vielleicht auch, denn im Laufe der Geschichte lässt sich beobachten, dass vegetarisches Essen immer dann besonders en vogue war, wenn andere Zutaten an Wert verloren haben.
Das heißt, wenn es einer Gesellschaft wirtschaftlich gut geht, gibt es mehr Vegetarier als in schlechten Zeiten?
Zumindest mehr bekennende. Vegetarisches Essen hat ja in Österreich hauptsächlich deshalb einen so schlechten Ruf, weil viele Menschen nach dem Ersten Weltkrieg unfreiwillig vegetarisch leben mussten. Daher rührt eine breite instinktive, gesellschaftliche Ablehnung.
Was fasziniert Sie am Kochen?
Kochen ist für mich eine kreative Freiheitspraxis. Im Laufe seines Lebens wird jeder Mensch durch die Summe aller zubereiteten und verzehrten Mahle "allmählich" zu dem, der er eigentlich ist. Und je besser jemand kochen kann, desto mehr Wahlmöglichkeiten stehen ihm dabei offen. Stellen Sie sich vor, Sie haben Hunger, Ihnen kommen aber nur drei verschiedene Geschmäcker in den Sinn: Pizza, Sushi und Burenwurst. Ihr Leben wäre doch ziemlich eingeschränkt. Wenn ich hingegen Lust auf Zucchini mit Thymian verspüre, dann bereichert das Erlebnis Essen mein Leben in einem ganz anderen Ausmaß.
Glauben Sie, dass man Geschmack erlernen kann?
Keine Frage, darin gleicht Geschmack dem Musikgenuss, man muss den richtigen Zugang finden. Grundsätzlich ist Geschmack ein Sinn, um sich in der Welt zu orientieren. Und warum sollte gerade der nicht erlernbar sein?
Ist Essen ein Kulturgut?
Unbedingt! Essen ist der zentrale Ritus unserer Kultur. Das zeigt sich schon in der Religion. Das Christentum feiert das gemeinsame Mahl als zentralen Glaubensritus. Wir begegnen Gott im Mahl. Auch der allgemeine Sprachgebrauch orientiert sich am Essen: Wenn wir heiraten, "vermählen" wir uns, und wenn Jugendliche heranwachsen, werden sie "mündig".
Wie würden Sie das kulinarische Verhalten der Österreicher charakterisieren?
Die Österreicher fühlen sich zwischen dem Diskonter-Dasein der Deutschen und dem "Dolce vita" der Italiener hin- und hergerissen. Man hält sich für ebenso kulturell wie in Italien, bevorzugt letztlich aber doch reichhaltiges und günstiges Essen.
Was ist einem Österreicher wichtiger: sein Auto oder sein Essen?
Das ist schwer zu sagen. Grundsätzlich will er beides haben, aber im Zweifelsfall sind ihm die Alufelgen vermutlich wichtiger als gutes Olivenöl. Meine Devise ist immer, die Menschen zu ermutigen, ihrem Körper zumindest ein Speiseöl zu gönnen, das nicht weniger kostet als Motoröl.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Sattwerden kein Problem ist. Wieso spielt die Portionsgröße beim Essen dennoch eine so entscheidende Rolle?
Das ist erlerntes Verhalten. Ein Thema, das mich persönlich sehr beschäftigt, ist die Frage, warum Festlichkeiten immer mit einem Zuviel an Essen verbunden sind. Kulinarischer Höhepunkt einer Feier könnten ja zum Beispiel auch besonders raffiniert zubereitete Speisen sein. Ein diesbezügliches Schlüsselerlebnis waren für mich alte europäische Reiseberichte über China. Die Europäer waren entsetzt, dass selbst die hohen Adeligen nicht halbe Ochsen verspeisten, sondern viele, unterschiedliche, raffinierte Gerichte zu sich nahmen. Die chinesische Oberschicht legte offensichtlich auf die Kulturleistung des Kochens mehr Wert als auf die Menge.
Wird sich die Wertigkeit beim Essen in Europa zukünftig von Quantität in Richtung Qualtität verschieben?
Vermutlich, denn in der Praxis werfen wir für jede gegessene Semmel eine weg. Bezahlen müssen wir aber natürlich beide. Statt dieser perversen Praktik könnten wir eine qualitätsvollere Semmel kaufen, und die dann mit größerer Aufmerksamkeit verspeisen. Meiner Meinung nach sind Parolen wie "Geiz ist geil" oder "ein gutes Preisleistungsverhältnis" die Todesworte unserer Wirtschaft. Nicht immer mehr und immer effizienter, sondern weniger und teurer: so sollte das Motto lauten. Wir sollten uns mit weniger Dingen, mit ihnen aber umso intensiver beschäftigen. Das betrifft ja nicht nur das Essen.
Wie konservativ is(s)t der Esser?
Leider viel zu konservativ. Nichts stößt den Menschen mehr vor den Kopf als ungewohnte Nahrung. Wenn Essgewohnheiten etwa krankheitsbedingt verändert werden müssen, nehmen viele Menschen - vor allem Männer - Gesundheitsrisiken, ja sogar den Tod in Kauf, nur, um ihre gewohnten Ernährungsmuster beizubehalten. Essen ist eben eine sehr intime Angelegenheit. Es definiert die Persönlichkeit, die kulturelle Position, die Selbstverständlichkeit des gewählten Lebensstils. Wer das Essverhalten einer Person in Frage stellt, stellt die Person an sich in Frage.
Ist kulinarischer Wagemut auch eine Frage des jeweiligen Zeitgeists?
Ja, sobald sich etwa eine wirtschaftliche Krise abzeichnet, erfolgt ein stärkerer kulinarischer Rückgriff auf das Erlernte. 2001 etwa, als das Wirtschaftswachstum stagnierte, boomten die Würstelbuden.
Ist Essen Ideologie?
Ich denke, Essen selbst ist ideologiefrei, aber die Summe der Handlungen, die rund um das Essen getätigt werden, sind Ausdruck einer gewissen Ideologie: wo kaufe ich ein, wie bereite ich zu, wo und mit wem esse ich. Ein Gourmet verfolgt genauso seine persönliche Ideologie wie ein Fastfood-Esser. Beide Konsumenten schreiben auf ihre Weise gewisse Wirtschaftskreisläufe fest.
Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Politik und Essen, bzw. zwischen politischen Verhältnissen und Essverhalten?
Schon der Philosoph Ludwig Feuerbach meinte: "Wenn ihr Moral wollt, dann gebt den Leuten zu essen. Denn du bist, was du isst." Heute geht es aber weniger darum, was auf dem Teller liegt, sondern vielmehr um die Kultur, die damit verbunden ist. Will man Kochen wieder in den sozialen Mittelpunkt des Lebens rücken, so muss man den Menschen auch die dazu nötige Zeit geben. Das heißt, der Stellenwert des Essens ist auch eine politische Frage. Die Arbeitszeiten so umzustrukturieren, dass sie an die kulinarischen Bedürfnisse der Menschen und nicht an die vermeintlichen Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst sind, ist für mich eine ganz klare politische Aufgabe. Sicherlich entscheidet jeder selbst über seinen Körper. Aber die Politik muss für die nötigen Rahmenbedingungen sorgen. Wenn Übergewicht heute eine Volkskrankheit ist, so steht das in direktem Zusammenhang mit dem Stellenwert, den wir der Produktion und der Wirtschaftlichkeit unserer Nahrung einräumen. Der Mensch ist bei der Wahl seines Essens eben nur so frei, wie man ihn frei sein lässt. Und tatsächlich konsumieren wir trotz kulinarischem Überangebot nur einen Bruchteil jener Nahrungsmittel, die uns theoretisch zur Verfügung stehen.
Das heißt, wir leiden unter Mangelernährung in Folge von Überangebot?
So könnte man es formulieren. Es gab noch nie eine Geschichtsepoche, in der so viel gehungert wurde wie heute. Ein Großteil der Bevölkerung ist permanent auf Diät. Das kulinarische Überangebot überfordert den instinktiven, menschlichen Auswahlmechanismus und führt zu selbst auferlegten Einschränkungen. Diese folgen jedoch oft recht beliebigen oder irrationalen Überlegungen und sind daher meist nicht gesundheitsförderlich. Die kulinarische Reduktion hat natürlich auch soziale Konsequenzen. Die verweigerten Mahlzeiten führen zu einer Umstrukturierung des Tagesablaufes, einer Verminderung der gesellschaftlichen Begegnungen, und so weiter.
Widersprechen eine fortschrittsorientierte Gesellschaft und eine akzeptable kulinarische Kultur einander nicht?
Nein, ganz im Gegenteil. Rückschrittlich ist für mich die typisch bürgerliche Einstellung, alle Vorgänge in der Küche interesselos den Frauen oder dem Personal zu überlassen und sich nur dem Ergebnis auf dem Teller zu widmen. Die Sehnsucht unserer Zeit geht ja in Richtung einer neu verstandenen Feinschmeckerei, die auch an der Entstehung und der Zubereitung der Speisen Anteil nimmt.
Glauben Sie, dass man durch veränderte Essgewohnheiten die Gesellschaft verändern kann?
Ja, das ist der eigentliche Sprengsatz des Essens. Unsere spezifische Lebensart und die damit verknüpfte Wirtschaftsstruktur produzieren gewisse geschmackliche Vorlieben. Umgekehrt spiegelt die Nahrungspalette die Art des Wirtschaftens wider. Für mich liegt daher der Schluss nahe, dass eine Veränderung der Geschmackswelt automatisch eine Veränderung der Wirtschaft mit sich bringt. Sobald die Akzeptanz gegenüber gewissen Geschmäckern steigt oder sinkt, verändert sich die Nachfrage und somit auch das Angebot. Neue Dienstleistungen und Berufe entstehen, andere werden zurückgedrängt.
Gibt es ein Beispiel für eine solche Umstrukturierung?
Bioprodukte sind so ein Beispiel. Die zunehmende Nachfrage hat neue Produktgruppen entstehen lassen, die heute sogar von den großen Supermarktketten angeboten werden müssen.
Wie hat das die Gesellschaft verändert?
Für die Biobauern hat sich eine neue Überlebenschance aufgetan. Bioprodukte halten immerhin 15.000 österreichische Bauern am Hof.
Ist es in Österreich schwierig, gute Gemüse- und Getreideprodukte zu bekommen?
Ja, leider, denn Gemüse hat hierzulande keinen hohen Stellenwert. Selbst die Gärtner essen lieber Schnitzel als Salat. Betrachten sie doch einmal die Liebe, mit welcher italienische Händler ihre Artischocken oder Zucchini anpreisen! Zudem ist bei uns die Gemüseproduktion viel zu einseitig. In Hamburg beispielsweise gibt es Schmorgurken, Schlangengurken, Feldgurken, usw. Eine solche Vielfalt vermisse ich in Österreich. Ob bei Tisch, am Markt oder am Feld: Bei uns ist eine Gurke einfach nur eine Gurke.
Wie inspirieren Sie sich: lesen Sie Kochbücher vor dem Einschlafen?
Nein, Kochbücher lese ich kaum. Mich interessieren mehr die Idee und Konzepte, die hinter einem Koch oder einer bestimmten Küche stehen. Derzeit beschäftige ich mich jedoch vorwiegend mit Soziologie und der Frage, wie Geschmäcker eigentlich entstehen.
Zur Person:
Christian Wrenkh wurde 1954 in Wien geboren. Nach Abschluss der Lehre als Koch und Kellner im elterlichen Betrieb in Wiener Neustadt führte ihn seine Laufbahn zunächst als Geschäftsführer der Raststätte "Föhrenberg" an die Südautobahn. 1978 eröffnete er in Wiener Neustadt sein erstes eigenes Lokal, die Snackbar "Bei Christian", in der er mit österreichischen Traditionsgerichten und der Nouvelle Cuisine experimentierte. Es folgten ein sechsmonatiger Aufenthalt in den USA und Vorbereitungen zur Eröffnung eines Steakhauses in San Diego. Ohne dieses Vorhaben jedoch in die Tat umzusetzen, kehrte Wrenkh, von Heimweh getrieben, nach Österreich zurück, wo er seine Berufung schließlich in der vegetarischen Küche fand. 1982 gründete Wrenkh das "Erste Wiener Gasthaus mit Vollwertküche" in der Hollergasse im 15. Bezirk. Anfänglich verlacht, avancierte das Bio-Lokal zum ersten vegetarischen Haubenlokal Österreichs.
1987 expandierte Wrenkh mit seinen vegetarischen Kochkünsten in die Wiener Innenstadt, wo er die von den Szene-Architekten Eichinger oder Knechtl gestaltete "wrenkh bar" eröffnete, in der er seit 2002 Gemüse auch in Kombination mit Fisch und Fleisch serviert.
Für Christian Wrenkh ist die vegetarische Küche keine Frage der Überzeugung, sondern eine kulinarisch-künstlerische Herausforderung. Die Überwindung der klassischen Beilagengerichte hin zu einer lustvollen Gemüseküche auf Basis des Vollwertgedankens ist sein Anliegen. In seinem jüngst eröffneten Kochsalon propagiert Wrenkh eine "Glücksküche", eine Kochkultur im Spannungsfeld zwischen Ernährungslehre, funktionellen Lebensmitteln, Genuss und Wohlbefinden. Über Träume und Ziele von Christian Wrenkh, etwa wie man die Intensität der Wahrnehmung beim Kochen und Schmecken steigert, kann man u. a. im 2000 erschienenen Kochbuch "Zurück zu den Wurzeln, die Küche des Christian Wrenkh" von Gisela Winkelhofer (edition artco) oder auf www.kochsalon.at nachlesen.