Um E-Mails aus dem Finanzministerium für den U-Ausschuss tobte seit einem Jahr ein Streit, der nun spektakulär endete.
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In der österreichischen Bundesverfassung ist das Grundsätzliche dieser Republik festgeschrieben. "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus", heißt es berühmterweise in Artikel 1. Aber auch den vielfältigen staatspolitischen Eventualitäten wurde Rechnung getragen, also wie auch im unwahrscheinlichen Fall der Fälle Bestehen und Funktionieren dieser Republik gewährleistet wird. Beim Regierungsende von Türkis-Blau hat sich bewährt, dass die Väter dieser Verfassung all die denkbaren Eventualitäten im Auge hatten. Trotz Ibiza und seinen Folgen war die Republik im Sommer 2019 nie einer Staatskrise auch nur nahe.
Ein Artikel für diese Eventualitäten ist Artikel 146, speziell dessen zweiter Absatz. Er definiert, was passiert, wenn einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) nicht entsprochen wird. In all den Jahrzehnten der Zweiten Republik stand die Passage de facto verwendungslos im Bundes-Verfassungsgesetz. Einmal, vor 15 Jahren, drohte der VfGH mit einem Exekutionsantrag, als der damalige Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider eine Kundmachung des VfGH ("Ortstafel-Streit") im Landesgesetzblatt verweigerte. Die Ankündigung reichte, Haider beugte sich nach heftigem Widerstand und Streit um die Montage von zweisprachigen Ortsschildern. Über Wochen hatte er damit die Schlagzeilen dominiert. Am Donnerstag wurde Artikel 146, Absatz zwei, nun erstmals tatsächlich gezogen.
Der Artikel sieht vor, dass der VfGH beim Bundespräsidenten einen Antrag auf Exekution eines Erkenntnisses stellen kann. "Sie ist nach dessen (Bundespräsident, Anm.) Weisungen durch die nach seinem Ermessen hiezu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen", heißt es im zweiten Absatz des Artikels 146.
Schon der Verweis auf das Bundesheer, dessen sich der Bundespräsident zwecks Durchsetzung bedienen kann, offenbart, dass die Väter der Verfassung mit diesem Artikel auch an Vorgänge dachten, die die Republik gefährden könnten, wie etwa die Abspaltung eines Bundeslandes oder dergleichen. In diesem Fall geht es hingegen nur um ein paar Daten.
Sie sollten vom Finanzministerium dem Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgelegt werden, doch das Ministerium lieferte nur einen Teil, worauf die Opposition die Herausgabe beim VfGH beantragte. Das Finanzministerium übermittelte dem Verfassungsgerichtshof insgesamt 15.090 E-Mails auf zwei Datenträgern, nur etwa die Hälfte lag bereits dem U-Ausschuss vor. Der VfGH entschied am 3. März, dass alle E-Mails und Daten dem U-Ausschuss vorgelegt werden müssen.
Opposition wittert Verzögerungstaktik
Konkret ging es um E-Mail-Postfächer und Dateien von Bediensteten jener Abteilung im Ministerium, die für das Beteiligungsmanagement des Bundes zuständig ist. Den U-Ausschuss interessiert die Kommunikation zwischen den Verwaltungsbeamten dieser Abteilung und dem Kabinett des damaligen Finanzministers Herwig Löger. In diesem saß als Generalsekretär auch Thomas Schmid, heute Vorstand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft Öbag.
Zwei Wochen lang passierte - nichts. Am 19. März nahm dann die Finanzprokuratur als Bevollmächtige des Ministeriums Kontakt mit dem Verfahrensrichter des U-Ausschusses auf und bot an, das Datenkonvolut gemeinsam auf Relevantes zu durchsuchen. Das Ministerium beharrte aber darauf, dass in den E-Mails und den gespeicherten Dateien "auch Daten und Informationen enthalten sein müssten, die nicht den Untersuchungsgegenstand beträfen". Das sei, so hieß es "denklogisch", da man den genannten Bediensteten andernfalls unterstellen müsste, "dass diese nur über Daten und Informationen verfügt hätten, die den Untersuchungsgegenstand beträfen".
Die Opposition, die Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in dieser Causa Verzögerung vorwirft, ließ sich darauf nicht ein und rief stattdessen nur drei Tage später erneut den VfGH an. SPÖ, FPÖ und Neos stellten einen Antrag auf Exekution durch den Bundespräsidenten, dem die Höchstrichter nun stattgaben. Es war eine Eskalation in Etappen, die nun zu einem einmaligen Ereignis in der Zweiten Republik geführt hat.
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Dem verlieh auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Form Ausdruck, dass er sich in dieser Causa mit einem Pressestatement im Maria-Theresien-Zimmer an die Öffentlichkeit wandte. Der Artikel 146 gebe eine "klare Handlungsanweisung", wie in einer solchen Situation vorzugehen sei, sagte das Staatsoberhaupt. Er habe mit Finanzminister Blümel bereits ein Gespräch geführt, dieser habe dabei versprochen, dass er den Auftrag des Verfassungsgerichtshofes "unverzüglich" erfüllen werde. Damit, so Van der Bellen, würde sich die Exekution erübrigen. Andernfalls "werde ich meiner Pflicht entsprechen".
Blümel muss alle Daten übermitteln
Zuvor hatte sich Blümel bereits an die Presse gewandt und die Übermittlung der Daten versprochen. Man habe bereits über 20.000 elektronische Dokumente geliefert und werde noch heute die restlichen Unterlagen an die Parlamentsdirektion übermitteln, hieß es vom Ministerium, das auf die "Wahrung von Daten- und Persönlichkeitsschutz" verwies. Es gehe bei diesen Daten auch um Gesundheits- und Krankendaten. In seinem Spruch vom Donnerstag stellte der VfGH aber fest, dass eine Eingrenzung, welche Daten nun für den Untersuchungsgegenstand relevant seien und welche nicht, jetzt nicht mehr möglich sei. Den Zeitpunkt für eine Selektion hat das Finanzministerium damit offenbar verpasst. Mehr noch, zusätzlich zu den 7.803 Mails, die dem VfGH vorgelegt wurden, sind vom Erkenntnis auch potenziell Daten umfasst, die im Vorverfahren nicht vorgelegt wurden, aber ebenfalls vom U-Ausschuss angefordert wurden. "Eine Durchführung einer Strukturierung einer (elektronischen) Suche im Rahmen des Exekutionsverfahrens, wie dies vom Bundesminister für Finanzen vorgeschlagen wird, kommt allerdings nicht (mehr) in Betracht."
Die Opposition wertet die Entscheidung des Höchstgerichts nicht nur als Niederlage für Blümel, sondern auch als Missachtung des Verfassungsgerichts. Die SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer sprach von einer "wegweisenden Entscheidung", Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper fand es "beschämend" und die FPÖ forderte Blümels Rücktritt wegen Verfassungsbruchs. Und auch Transparancy International schaltete sich ein und sprach von einem "außerordentlichen Vorgang, der nicht notwendig sein sollte".