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Chronik eines angekündigten Fiaskos

Von Konstanze Walther

Politik

Der Abstimmungstag brachte mehr als 800 Verletzte und Erinnerungen an die dunkle Epoche der Guardia Civil.


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Barcelona/Madrid. Schon allein die Wortwahl ist aufgeladen: Ist Katalonien eine Region oder eine Nation? Sind Unabhängigkeitsbefürworter am Werk oder Separatisten?

Und schließlich: War das am Sonntag ein Referendum oder hat es, in den Worten von Spaniens Premierminister Mariano Rajoy, ein Referendum niemals gegeben?

Am Sonntag rief die Regierung in Barcelona zur Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens von Madrid aus. Eine Abstimmung, die von Madrid verboten wurde. Auch das Verfassungsgericht hat die Abstimmung untersagt, da die Verfassung von der Einheit Spaniens spricht. Das Referendum sei also von vorne bis hinten illegal. Kritiker dieser Lesart weisen daraufhin, dass Verfassungen nicht in Stein gemeißelt seien und überall auf der Welt einem Veränderungsprozess unterworfen sind.

Die Abstimmung, die Madrid ohnedies nicht anerkennen wollte, hat aber für bürgerkriegsartige Szenen am Wahltag gesorgt. Denn Madrid war es wichtig, dass die Katalanen ihre - ohnedies ungültige - Stimme nicht abgeben. Zwischen 800 und 900 Personen wurden bei dem Versuch, ihre Stimme abzugeben, verletzt. Madrid hat aus Angst vor Eskalation im Vorfeld die Nationalgarde sowie die paramilitärische Guardia Civil nach Katalonien geschickt, um die Situation zu beruhigen. Schließlich wurden tatsächlich international verpönten Gummigeschosse der Uniformierten gegenüber den Zivilisten eingesetzt.

42 Prozent der Bevölkerung machten bei Referendum mit

Trotzdem haben von 5,3 Millionen als Wähler registrierten Katalanen 2,3 Millionen ihre Stimme am Sonntag abgegeben, das sind immerhin fast 42 Prozent. Davon haben 90 Prozent - also 2 Millionen - für die Unabhängigkeit gestimmt. Also 38 Prozent der katalanischen Bevölkerung. Nach dem Glauben der katalanischen Regierung unter Carles Puigdemont wären es wohl mehr gewesen, wenn Madrid eine friedliche Stimmabgabe zugelassen hätte. Nach dem Glauben von vielen Politikern im Parlament in Madrid waren es nicht einmal 38 Prozent - nachdem der Wahlvorgang wenig transparent oder geordnet abgelaufen ist, behaupteten Politiker mehrerer Parteien, dass zum Teil drei- bis viermal von denselben Menschen abgestimmt worden wäre.

Die Bestürzung war in Spanien nach der Wahl quer durch alle Parteien aber spürbar. Der konservative Innenminister Juan Ignacio Zoido erklärt im Radiointerview mit RNE, ihm gefielen die Bilder der Zusammenstöße in Katalonien auch nicht. Trotzdem hätten Polizei sowie Guardia Civil nur ihre Pflicht getan und die Verfassung verteidigt.

Der Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokraten, Patxi López, der aus dem Baskenland stammt, nimmt die konservative Regierung in die Pflicht, die die Entwicklungen und Eskalationen nicht verhindert habe. Auch der Sozialist qualifiziert die Abstimmung als illegal. Auf die Frage, ob es nach einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung noch Platz für "Politik und Dialog" geben könne, erwidert López, es müsse immer dafür Platz geben. Der Sonntag war ein "trauriger Tag, der zwar nichts bedeutet hat, aber an dem wir alles verloren haben": Es war auch besorgniserregend für die Demokratie, denn "wir haben gesehen, wie eine Regierung Massen mobilisiert, um den rechtlichen Rahmen zu sprengen." Und was sei eine Demokratie ohne Respekt vor Gesetzen? Die Vorfälle vom Sonntag seien angekündigtes Fiasko gewesen. Wie konnte die Regierung keine Zeit zum Verhandeln aufbringen? "Es ist doch die Verantwortung der Politik, Antworten zu Tage zu fördern", erklärt López.

Auch die linkspopulistische Podemos-Bewegung ist sich sicher: "Eine demokratische Regierung kann nicht Gewalt gegen friedliche Zivilbevölkerung anwenden", empört sich Pablo Echenique. Würde Podemos die einseitige Erklärung der Unabhängigkeit Kataloniens anerkennen? "Nein", sagt auch Echenique. Einseitige Entscheidungen haben noch nie zur Lösung beigetragen. Er könne sich aber ein mit Madrid abgesprochenes Referendum über die Unabhängigkeit vorstellen, so wie es auch in Schottland passiert ist.

Albert Rivera, Präsident der liberalen Partei Ciudadanos, stammt selbst aus Katalonien. Er schäumt vor Wut im Interview: Puigdemont habe nur separatistischen Populismus dazu verwendet, um Stimmen zu fangen. "Es ist offensichtlich, dass Puigdemont nicht einmal selbst das Referendum wollte." Rivera könne auch aus demokratischer Sicht das Ergebnis der Abstimmung nicht ernst nehmen, da es Dörfer gäbe, in denen dreimal so viele Stimmen abgegeben worden wären, wie Einwohner existieren. Er, Rivera, habe Angst, dass Puigdemont ihm seine spanischen Bürgerrechte sowie seine Rechte als Bürger der Europäischen Union wegnimmt. "Ein Staat muss seine Bürger beschützen." Ob Madrid das via dem 155. Artikel der spanischen Verfassung macht, oder über ein anderes Gesetz, ist Rivera nach eigenen Angaben egal.

Der Artikel 155 in der spanischen Verfassung wird derzeit heiß in den spanischen Medien diskutiert: Er ermöglicht der Zentralregierung, "die notwendigen Mittel" anzuwenden, um eine autonome Gemeinde - wie Katalonien - in die Pflicht zu nehmen. Verfassungsexperten glauben, dass das nicht den Gebrauch von Gewalt beinhaltet, aber vielleicht etwaige ökonomische Druckmittel.

Ministerpräsident Mariano Rajoy offen für Vorschläge

In seiner ersten Pressekonferenz nach der Abstimmung zeigte sich Montagnachmittag Kataloniens Ministerpräsident Puigdemont gesprächsbereit. Eigentlich wurde erwartet, dass Puigdemont die baldige Ausrufung der Unabhängigkeit ankündigte. Doch Puigdemont erklärte, eine Periode des Übergangs sei keine exakte Wissenschaft noch würde ein Automatismus ausgelöst werden. Er wolle, dass Madrid erneut Verhandlungen aufnimmt.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy will nach Regierungsangaben zusammen mit anderen Parteien auf die Katalonien-Krise reagieren. Bei Treffen mit Vertretern der Sozialisten und dem liberalen Bündnis Ciudadanos habe er sich für deren Vorschläge offengezeigt, hieß es in einer am Montagabend veröffentlichten Regierungserklärung.