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Ciao Euro, hello Lira?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Der drohende Exit Italiens aus dem Euro deckt einen zentralen Denkfehler bei der Begründung der Einheitswährung auf.


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Werden wir in ein paar Jahren, wenn wir für ein Wochenende nach Venedig fahren, vorher Euros in "Neue Lire" umtauschen müssen, um unseren ersten Stehkaffee bezahlen zu können? Eher ja, vermuten unisono der bekannte liberale deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn und sein eher links der Mitte verorteter amerikanischer Kollege Joseph E. Stiglitz. "Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Teil des Euro bleibt, fällt von Jahr zu Jahr", sagt Sinn. "Den Italienern wird gerade klar, dass Italien im Euro nicht funktioniert", ergänzt Stiglitz.

Faktum ist, dass Italien seit Jahren schon in einem erbärmlich schlechten wirtschaftlichen Zustand ist. Die Rezession in Italien dauert schon länger an, übertrifft von der Dauer jene der 1930er Jahre, die Leistung der Wirtschaft ist niedriger als vor acht Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist enorm, die Staatsverschuldung längst jenseits von Gut und Böse.

Der Kern des Problems: Italiens einst stolze Industrie verliert laufend an Wettbewerbsfähigkeit. Die Lohnstückkosten liegen um fast ein Drittel über jenen Deutschlands, nicht zuletzt deshalb, weil Italiens politisch und ökonomisch verkrustete Gesellschaft längst überfälligen Umbauarbeiten gegenüber noch resistenter ist als etwa Österreich - und das will durchaus etwas heißen. Deswegen sehen immer mehr Italiener in einem Austritt ihres Landes aus der Eurozone mit nachfolgender massiver Abwertung der Neuen Lira und einer dementsprechend massiv steigenden Wettbewerbsfähigkeit die einzige Möglichkeit, der Malaise des Landes ein Ende zu setzen.

Die "Fünf-Sterne-Partei" des Clowns Beppe Grillo fordert das ganz offen - und liegt derzeit in allen Umfragen knapp auf Platz zwei. Scheitert Ministerpräsident Matteo Renzi an einem Verfassungsreferendum im Dezember, ist die Bildung einer linkspopulistischen Regierung mit Ziel Euro-Austritt nicht undenkbar. Der "Uscitalia" ist zur realen Möglichkeit geworden, jedenfalls was den Euro anlangt. Was auch für Österreich recht dramatische Auswirkungen hätte, immerhin ist Italien unser zweitwichtigster Exportmarkt.

Die wirklichen Ursachen dieser eher dramatischen Entwicklung liegen freilich viel tiefer. Denn als vor 16 Jahren der Euro eingeführt wurde, dominierte eine unausgesprochene, aber extrem wichtige Annahme das Denken und damit das Handeln der europäischen Eliten: dass mit der Einheitswährung auch die Mentalitäten, die grundlegenden ökonomischen Wertvorstellungen und die daraus resultierenden Handlungsmuster sich aneinander angleichen würden. Dass also etwa die Italiener, aber auch die anderen Staaten der südlichen Peripherie in wirtschaftlichen Dingen ihre traditionelle Inflationskultur ablegen und die Vorzüge der deutschen Stabilitätskultur zumindest ein Stück übernehmen würden.

Der Versuch wurde immer wieder unternommen, er war sogar da und dort ein Stück erfolgreich - aber viel, viel weniger, als eine gemeinsame Währung erfordert. Der Irrtum war letztlich kein ökonomischer, sondern ein psychologischer. Die Nationen Europas unterscheiden sich voneinander viel mehr, als die Eliten Europas wahrhaben wollten und wollen. Solange das verdrängt wird, wird eine Sanierung dieses fundamentalen Problems nicht möglich sein.