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Clausnitz, Bautzen, Gigritsbatschen?

Von Katharina Schmidt

Politik

Auch in Österreich ist die Zahl der Übergriffe auf Asylsuchende sprunghaft angestiegen.


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Wien. Clausnitz, 18. Februar 2016. "Reisegenuss" steht auf dem Bus, der Asylwerber in ihre neue Unterkunft bringen soll. "Wir sind das Volk", skandieren draußen die Massen, während drinnen die Asylwerber vor Panik erstarren oder weinen. Während die Polizei Ermittlungen gegen die teilweise minderjährigen Asylwerber wegen Beleidigung der Demonstranten erwägt, herrscht überall sonst Entsetzen. Bautzen, 21. Februar 2016. Johlende Betrunkene stehen um ein ehemaliges Hotel herum, das lichterloh brennt. Die Feuerwehr hat alle Mühe, durchzukommen, um den Brand zu löschen. Die Ermittlungen ergeben Brandstiftung. Bald hätten in dem Haus Asylwerber untergebracht werden sollen.

Clausnitz und Bautzen liegen im deutschen Sachsen. Der Wilde Osten Deutschlands, dort wo die Rechten leben, die Wendeverlierer, die, die schon in den 1990ern - teils mit tatkräftiger Schützenhilfe der politisch Verantwortlichen - die Asylwerberheime angezündet haben? Es wäre viel zu einfach, das Phänomen derart zu verharmlosen. In Deutschland gab es nach Recherchen der "Zeit" im vergangenen Jahr 279 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte - und zwar überall im Land.

In Österreich wird seit Jänner in der Kriminalstatistik eine eigene Rubrik für den Tatort Asylwerberunterkunft geführt. Doch im Bundeskriminalamt kann man nicht sagen, ob und wenn ja wie viele Fälle dort aufgeführt sind: "Die Zahlen werden mit Jahresende veröffentlicht, davor sind sie intern", heißt es dort. Eine Zahl gibt es jedoch aus dem Innenministerium direkt: "2015 gab es bei fremdenfeindlichen und rassistischen Delikten eine Verdreifachung auf 323. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen und mehr als die drei Jahre davor zusammengerechnet", sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Immerhin: Dabei handle es sich in erster Linie um Hasspostings - das sei zwar auch nicht harmlos, aber "wir haben zum Glück bisher keine Vorfälle in der Qualität wie jetzt in Sachsen feststellen müssen".

Viel mehr Hasspostings, Überfälle auf Asylheime

Claudia Schäfer, Geschäftsführerin der Anti-Rassismus-Vereinigung Zara, meldet einen massiven Anstieg der gemeldeten Übergriffe auf Flüchtlinge. Schon 2014 habe es vermehrt Übergriffe auf Muslime gegeben. "Und 2015 ging es dann los mit den faktischen Übergriffen auf Flüchtlinge." Der Zara Rassismus-Report für 2015 erscheint Ende März. Darin wird stehen, dass sich der Anteil der Flüchtlinge als Adressaten von rassistischen Postings im Internet von fast null auf 68 Prozent erhöht habe. "Massive Hetze in der virtuellen Welt führt dazu, dass die Gewaltphantasien eher auch in der realen Welt umgesetzt werden", sagt Schäfer.

Werden sich also Vorfälle wie in Clausnitz und Bautzen bald auch in Österreich, sagen wir in Gigritsbatschen, zutragen? Ähnliche Bilder wie in den beiden sächsischen Ortschaften gibt es bereits: Im vergangenen Sommer empfingen FPÖ-Demonstranten minderjährige Asylwerber in Wien-Erdberg. Auch wegen Sachbeschädigungen, versuchter Brandstiftung und schwerer Nötigung im Zusammenhang mit Asyleinrichtungen hat die Polizei im Jahr 2015 ermittelt, wie eine Anfrage des grünen Abgeordneten Albert Steinhauser ergab.

"Wir sehen eine zunehmende Polarisierung, das darf und muss einem durchaus Sorgen bereiten", sagt Grundböck. Diese Polarisierung ist zum Teil hausgemacht. Anders als in Deutschland Angela Merkel sind Werner Faymann und Johanna Mikl-Leitner mittlerweile von der "Wir schaffen das"-Rhetorik, durch die sich viele in ihren Ängsten nicht wahrgenommen fühlen, abgekommen. Dieses Hin- und Herschwanken verbreite Unsicherheit, meint Andreas Peham, Rechtsextremismus-Forscher am Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. Das Problem ist dasselbe wie schon in den 1990er Jahren: "SPÖ und ÖVP glauben, dass sie dem rechten Rand das Wasser abgraben können, indem sie vorgeblich ‚die Sorgen der Menschen ernst nehmen‘ und die Forderungen der Rechten in die Tat umsetzen, während sie sich verbal von ihnen abgrenzen", sagt Peham.

"Meiner Meinung nach heizt die Politik diese Stimmung an", sagt auch Migrationsforscherin Gudrun Biffl von der Donau Uni Krems. Die Herausforderung der Politik sei, dass man nach außen hin zeigen wolle, dass Österreich die Grenzen dicht macht und damit "nach innen Strukturen fördert, die immer schon nach oben wollten." Denn im Land selbst wird dadurch das Bild vom Asylwerber als Bedrohung, vor der man sich schützen muss, geprägt. Und "Frust und Angst führen dazu, dass die Ärmsten der Armen, die oft keine andere Artikulationsfähigkeit als die Gewalt haben, ausbrechen" sagt Biffl.

Politik spielt sozial Schwache gegen Migranten aus

Die Gefahr der gesellschaftlichen Segregation sieht auch Kai Unzicker, der für die deutsche Bertelsmann Stiftung den gesellschaftlichen Zusammenhalt in verschiedenen Ländern Europas untersucht hat. "Österreich hat insgesamt einen relativ starken gesellschaftlichen Zusammenhalt, ganz ähnlich wie in Deutschland oder der Schweiz ist aber der Umgang mit der gesellschaftlichen Vielfalt ein Problem", sagt er. Debatten wie jene um die Kürzung der Mindestsicherung werden von den autochthonen Mindestsicherungsbeziehern als Bedrohung wahrgenommen. "Die sozial Schwachen, die schon im Land sind, gegen die Flüchtlinge und Migranten auszuspielen, ist perfide", erklärt Unzicker. Viel eher sollte die Politik darum bemüht sein, "dafür zu sorgen, dass alle Menschen auch am Wohlstand teilhaben und das Gefühl haben, eine politische Stimme zu haben." Denn nur das schütze davor, dass die Rechtsextremen die Deutungshoheit über die Asyldebatte bekommen. Und: "Rechtsextreme Gruppierungen können meist nicht aus eigenem Antrieb an eine breite Öffentlichkeit kommen, sie brauchen eine Situation wie die aktuelle, die sie ausnützen können, um ihre Themen zu setzen." Eine aktive Zivilgesellschaft und eine aufmerksame Sozialpolitik könnten dieser Entwicklung entgegenwirken, betont der Forscher.

In Österreich sind es die Identitären, die von dieser Radikalisierung profitieren. Zuletzt kam es im Jänner in Graz im Nachgang einer Identitären-Demonstration zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten. Auf ihrer Website, laut der sie weder fremdenfeindlich noch rassistisch sind, schildern die Identitären einen "Großen Austausch" der Bevölkerung, den "wir" als letzte Generation verhindern könnten. Für Peham ist das ein "politisch verantwortungsloser" Aufruf zur Gewalt. "Der Pathos der letzten Chance legitimiert alle Mittel, auch wenn sie es nicht so sagen", meint er. Für Peham ist es nur eine Frage der Zeit, bis Vorfälle wie in Sachsen auch in Österreich passieren.

Das Ministerium ist auf den Ernstfall vorbereitet. Die Asylquartiere des Bundes werden rund um die Uhr bewacht, bei anderen Quartieren gebe es "bei Bedarf an die Situation angepasst Maßnahmen", sagt Grundböck.