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Clegg als Premier? "Unwahrscheinlich"

Von Alexandra Frech

Europaarchiv

Wahlsystem ist Nachteil für Liberale. | Wenig Sitze trotz vieler Stimmen. | London. (apa) In den vergangenen Tagen haben sie in den Umfragen aufgeholt, wie kaum jemand vorhergesagt hätte: Die britischen Liberaldemokraten liegen in den meisten Befragungen bei um die 30 Prozent. | Porträt: Nick Clegg


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In einer YouGov-Umfrage für die Zeitung "The Sun" ließen sie sogar die seit Monaten klar vor Labour positionierten Konservativen hinter sich. Dass die bisher drittgrößte britische Partei mit ihrem Vorsitzenden Nick Clegg den nächsten Premierminister stellen wird, halten Experten dennoch nicht für sehr wahrscheinlich.

"Es ist nicht unmöglich, aber es ist sehr unwahrscheinlich. Damit Nick Clegg Chef der größten Partei wird, braucht seine Partei fast 40 Prozent der Stimmen", meint Peter Kellner, Präsident des Meinungsforschungsinstituts YouGov. "Da ist er noch lange nicht, und ich erwarte nicht, dass er diese Zahl erreicht. Unmöglich ist es aber nicht."

"Das liegt an unserem Wahlsystem", erklärt Roger Mortimore, Leiter der politischen Forschungsabteilung beim Meinungsforschungsinstitut Ipsos Mori, angesichts des Mehrheitswahlrechts zu den Aussichten der Liberaldemokraten. "Selbst, wenn sie die meisten Stimmen bekommen, wären sie im Vergleich zu den beiden größeren Parteien wohl immer noch die kleinste in Bezug auf die Anzahl der Sitze." Das höchste, worauf Clegg hoffen könnte, sei vermutlich ein Ministerposten in einer Koalition mit Labour oder den Konservativen.

Die Wählerstimmen für die Liberaldemokraten sind laut Mortimore sehr viel gleichmäßiger verteilt als jene für Labour und die Tories. "Wenn also die Konservativen oder Labour zwischen 30 und 40 Prozent der Stimmen haben, dann sind sie in der einen Hälfte des Landes sehr stark und die größte Partei in vielen Wahlkreisen, und in der anderen Hälfte sind sie sehr schwach und verlieren. Beim selben Stimmenanteil wären die Stimmen der Liberaldemokraten viel gleichmäßiger aufgeteilt, weshalb sie in vielen Wahlkreisen an zweiter Stelle wären, aber sie würden nicht sehr viele gewinnen."

Liberale schaden den Konservativen

Das Aufholen der Liberaldemokraten schadet nach Einschätzung des Meinungsforschers und Politologen vor allem den Konservativen, deren allgemein erwarteter Wahlsieg dadurch weniger wahrscheinlich geworden sei. "Es sieht so aus, als sei die meiste Unterstützung, die die Liberaldemokraten bekommen, von den Konservativen gekommen oder von Orten, wo sie den Konservativen schadet. Die Konservativen haben jetzt also mehr zu verlieren. Vor einer Woche hätte ich gesagt, es gibt eine Chance von 50 zu 50 für ein 'hung parliament' (in dem keine Partei die absolute Mehrheit hat) und eine konservative Regierung, oder eine Mehrheit für die Konservativen. Jetzt scheint es mir gleichmäßiger in drei Richtungen aufgeteilt: Es könnte eine konservative Mehrheit geben, eine konservative Regierung ohne Mehrheit im Parlament oder eine Labour-Regierung ohne Mehrheit."

Auch Peter Kellner meint, dass der jüngste liberaldemokratische Erfolg den Konservativen mehr geschadet hat als der regierenden Labour Party. Er rechnet auch am ehesten mit einem Wahlsieg der Tories. "Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich denke, es gibt eine Zehn-Prozent-Chance, dass Nick Clegg Premierminister wird, eine 30-Prozent-Chance für eine Labour-geführte Regierung, und eine 60-Prozent-Chance für eine konservative oder von den Konservativen geführte Regierung."

Das Aufholen der Liberaldemokraten macht aus Kellners Sicht eine - wie auch immer geartete - Zusammenarbeit zwischen zwei Parteien nach der Wahl wahrscheinlicher, wenn auch nicht unbedingt eine Koalitionsregierung.

"Wahrscheinlich keinliberaler Minister"

"Was ich glaube, dass jetzt wahrscheinlicher geworden ist, ist eine Art Übereinkommen zwischen der regierenden Partei und den Liberaldemokraten, wo die Liberaldemokraten in der Opposition wären und keine Ministerposten hätten, aber einem bestimmten Maßnahmenpaket der Regierung zum Beispiel zur Wirtschaftspolitik oder der Reform von Ober- und Unterhaus zustimmen würden." Zu rechnen sei dabei eher mit einer Kooperation von Liberaldemokraten und Labour, die sich ideologisch näher stünden als den Tories. "Ich denke, wenn die Konservativen die größte Partei wären, würden sie versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden."