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Clintons Traum eines Friedens in Nahost droht zu zerbrechen

Von Gabriele Chwallek und Thomas Müller

Politik

Washington - US-Präsident Bill Clintons sah sich in Camp David im Juli ganz nah am Ziel seines Traums: vor dem Ende seiner Amtszeit noch einen Frieden im Nahen Osten zu vermitteln. Die vergangegenen Tage versuchte er aus der Ferne mit einem Last-Minute-Einsatz rund um die Uhr nur noch, das Schlimmste zu verhindern. Entsetzt von der Eskalation der Gewalt sagte er am Wochenende alle Termine ab und widmete sich im Weißen Haus ganz der Nahost-Vermittlung.


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In der Nacht auf Samstag begann sein Telefonmarathon: Nach einem ersten Gespräch mit dem israelischen Regierungschef Ehud Barak folgten Telefonate mit Palästinenserpräsident Yassir Arafat, dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak und mindestens drei weitere Gespräche mit Barak.

Für Clinton bedeutet die Eskalation der Gewalt eine schmerzliche persönliche Niederlage. "Die Schüsse, die Bilder von Toten und Verletzten, das geht ihm ins Mark, nachdem man einer Vereinbarung doch schon so nahe war", schildert einer seiner Mitarbeiter aus dem Weißen Haus.

Dennoch hatte Clinton zunächst lange nicht reagiert, als die Gewalt in Jerusalem am 28. September ausbrach. Außenministerin Albright ging während ihres Aufenthalts in Frankreich nur so weit, den Besuch des rechtsgerichteten israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon auf dem Tempelberg als "kontraproduktiv" zu bezeichnen - ein mildes Urteil etwa im Vergleich zum französischen Vorwurf der "unverantwortlichen Provokation". Clinton selbst hatte sich tagelang nur begrenzt eingeschaltet und dabei jeden Anschein einer Schuldzuweisung vermieden.

Inzwischen wird auch in der Umgebung des Präsidenten kein Hehl daraus gemacht, dass die US-Regierung schlicht hilflos ist. "Es kommt nicht darauf an, was wir tun, sondern was sie (die Israelis und Palästinenser) machen", fasste ein Beamter im Weißen Haus die wachsender Frustration zusammen.

Ein guter Teil der Hilflosigkeit wird auf die näherrückenden Wahlen zurückgeführt. Das heißt, für Clinton hätte die dramatische Entwicklung im Nahen Osten zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Sharon beim Namen nennen und die israelische Gewaltanwendung als exzessiv zu verurteilen, was viele Amerikaner wünschen, könnte die jüdischen Wähler verprellen und Vizepräsident Al Gores Position im Wahlkampf schwächen. Und mehr: Die jüdische Bevölkerung spielt vor allem in New York eine große Rolle - dort, wo First Lady Hillary Clinton für einen Senatssitz kandidiert.

Kritiker weisen unterdessen darauf hin, dass Clinton keineswegs zimperlich gewesen sei, als er nach dem Gipfel in Camp David im Juli Arafats Unnachgiebigkeit geißelte. Das, so heißt es, könne dazu beigetragen haben, der Rechten in Israel Auftrieb zu geben und zu Schritten wie Sharons Tempelberg-Visite zu ermutigen. Auch vor diesem Hintergrund, so heißt es in der Umgebung des Präsidenten, wolle Clinton jetzt nicht riskieren, die Stimmung durch einseitige Schuldzuweisungen anzuheizen. So bleibt ihm nur, mit seiner sprichwörtlichen Hartnäckigkeit in weiteren Telefonaten zu versuchen, Barak und Arafat zum Einlenken zu bewegen.