Zum Hauptinhalt springen

Computerfreaks im Machtrausch: Wie gefährlich sind Aufdecker-Portale?

Von Michael Schmölzer

Analysen

Ein brisantes Dokument nach dem anderen wird von Wikileaks online gestellt - und ein Aufschrei der Empörung geht durch die Reihen der Mächtigen. Nicht nur die USA werfen den Aufdeckern verantwortungsloses Handeln vor, auch Spitzenpolitiker anderer Demokratien sind empört, sprechen von "unappetitlicher" und "zerstörerischer" Vorgangsweise.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Beobachter stellen sich die Frage, ob die heftigen Reaktionen von Barack Obama, Hillary Clinton, Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy nicht doch ihre Berechtigung haben. Denn Wikileaks ist zwar einst angetreten, dem Volk Kontrollmöglichkeiten zu geben, Transparenz zu schaffen und die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. Jetzt aber muss sich Wikileaks-Gründer Julian Assange die Frage gefallen lassen, ob seine letzten Enthüllungen nicht tatsächlich nur destruktiv sind - und zwar für die Regierenden wie für die Regierte.

Denn was hat der einfache Bürger davon, wenn sich das mit großer Mühe verbesserte russisch-amerikanische Verhältnis plötzlich wieder verschlechtert, weil beleidigende Diplomaten-Depeschen ans Tageslicht kommen? Wird dem Weltfrieden wirklich ein Dienst erwiesen, wenn eine Diktatur, die mit dem Rücken zur Wand steht und sich durch unberechenbares Verhalten auszeichnet, weiter in die Enge getrieben wird? Die Rede ist hier von Nordkorea und Wikileaks-Dokumenten, die nahelegen, dass der große Beschützer China bereit wäre, Pjöngjang einfach fallen zu lassen. Was, wenn Nordkoreas Diktator Kim Jong-il - sollte er sich in seiner Existenz bedroht wähnen - die Flucht nach vorne antritt und einen Militärschlag gegen den Süden anordnet? Dann hätte Wikileaks einen Krieg provoziert - es wurde in der Geschichte schon aus profaneren Gründen zur Waffe gegriffen.

Vergangene Wikileaks-Enthüllungen sind in diesem Zusammenhang anders zu beurteilen. Geheime Dokumente der US-Armee etwa, die beweisen, dass an Checkpoints im Irak tausende Zivilisten "irrtümlich" erschossen wurden. Oder die Veröffentlichung eines Videos, das zeigt, mit welchem Zynismus US-Soldaten im Irak vorgingen. Wenn etwa per Helikopter zur Jagd auf Zivilisten geblasen wurde, als handle es sich um Freiwild. Hier geht es um eklatante Menschenrechtsverletzungen, die natürlich aufgedeckt werden müssen.

Das Kernfrage besteht also darin, ob die Wikileaks-Aufdecker die Folgen ihrer Enthüllungen abschätzen können oder nicht. Viele sehen jetzt die Gefahr, dass Menschen wie Assange zunehmend in eine Art Machtrausch verfallen und unverantwortlich handeln.