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Corinne Maier

Von Verena Mayer

Reflexionen
"Man hat Kinder, kümmert sich um sie, ist sehr glücklich im einen Moment . . .

Die streitbare französische Publizistin und Psychoanalytikerin Corinne Maier spricht darüber, warum es besser ist, keine Kinder zu haben - und über | ihre Lust an der Provokation.


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Wiener Zeitung: Frau Maier, Frankreich hat eine der höchsten Geburtenraten Europas und Sie schockieren Ihre Heimat mit dem Bestseller "No Kid. 40 Gründe, keine Kinder zu haben". Haben Sie etwas gegen Kinder? Corinne Maier: Das Kind ist interessant, weil es für die Widersprüche steht, die wir gegenüber unserer Zukunft haben. Über Kinder zu sprechen, heißt über uns zu sprechen, über unsere Gesellschaft, unsere Probleme.

Sie bezeichnen Kinder als Kletten, Lusttöter, zukünftige Loser oder kreischende Gremlins. O-Ton: "Wenn Sie unbedingt einen Parasiten durchfüttern wollen, holen Sie sich doch lieber einen Gigolo."

Allein der Alltag ist ein täglicher Kampf: Frühmorgens aufstehen, fünf bis acht Uhr Hausaufgaben machen, Urlaub nur in den Schulferien. Um einen Platz in der Krippe oder im Hort kämpfen, die Freizeit bei "McDoof" oder in idiotischen Vergnügungsparks à la Eurodisney verbringen, ganz zu schweigen von Weihnachten, wenn die Leute die Geschäfte stürmen, um sich zu beweisen, dass sie gute Eltern sind. Kinder zu haben ist oft ein Zeichen dafür, dass man es aufgegeben hat, seinen eigenen Wünschen nachzugeben. Das ist für mich der Grund, keine Kinder zu haben: Man muss das machen, was man verwirklichen will.

Und das soll mit Kindern nicht gehen?

Mich stört die Auffassung, dass wir Kinder haben müssen, weil sie uns erfüllen. Früher hieß es, es sei eine vaterländische Pflicht, Kinder in die Welt zu setzen. "Arbeit, Familie, Heimat", lautete der Slogan des Vichy-Regimes. Heute kann man so etwas Reaktionäres natürlich nicht mehr sagen, und deswegen wird uns eingetrichtert, dass uns Kinder glücklich machen. Das ist die totale Heuchelei. Denn das Ziel ist das gleiche: Dass die Leute gehorchen, die Ordnung aufrechterhalten und das Kollektiv stärken.

Sie haben doch selbst Kinder, oder?

Ja, ein Mädchen und einen Buben, zwölf und vierzehn Jahre alt.

Wissen die beiden, was in Ihrem Buch "No Kid" steht?

Meine Kinder lesen "Harry Potter" und interessieren sich nicht die Bohne für das, was ich schreibe. Würde ich eine Fleischerei betreiben, würden sie sich auch nicht für Schweine interessieren. Außerdem glaube ich, dass alle Eltern eine Form von Ambivalenz empfinden. Man hat Kinder, kümmert sich um sie, ist sehr glücklich im einen Moment, im nächsten möchte man schreiend davonlaufen, das ist normal. Warum muss man diese Ambivalenz verstecken und so tun, als wäre man die ganze Zeit glücklich?

Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch?

Manche haben gelacht, viele waren entsetzt. Ich bekam Briefe, dass ich ein Monster sei und wie ich als Mutter so etwas schreiben könne. Viele haben die Ironie nicht verstanden. Das Buch ist sehr persönlich. Ich erziehe meine Kinder ja auch, darüber mache ich mich lustig, über meine eigene Rolle als Mutter.

Die Zeitung "Le Figaro" nannte "No Kid" eine "kalkulierte Provokation". Wollen Sie wirklich nurprovozieren?

Wenn ich das Thema meines Buches auf hochseriöse Weise behandelt hätte, würde es keinen interessieren. Ich habe auch Bücher über Politik und Psychoanalyse geschrieben, die haben sich vielleicht ein paar hundert Mal verkauft.

In Frankreich bekommt eine Frau durchschnittlich zwei Kinder - und 80 Prozent der Mütter sind berufstätig. Davon können Österreicher nur träumen.

In Frankreich wird ein regelrechter Kinderkult gepflegt. Kinder zu haben gilt als Zeichen von Lebenskraft. Ich glaube eher, es ist ein Zeichen von tiefer Langeweile. Wenn nichts mehr möglich ist, setzt man Kinder in die Welt und hofft, dass zumindest sie eine Zukunft haben.

Viele finanzielle Hilfen, die Familien in Frankreich bekommen, die Steuererleichterungen und all das, stammen übrigens aus der Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg, als Frankreich Elsass-Lothringen verloren hat. Damals hieß es: Wir unterstützen die Familien, damit sie mehr Kinder bekommen, die dann zur Wiedereroberung antreten.

Das Thema Kind ist in Frankreich an die Idee der Reproduktion geknüpft, an die Vorstellung, dass wir dem Land Kinder schenken, damit wir immer schön unter uns sind.

Bei uns heißt es, Frankreich sei für Mütter ein Paradies.

Uns erzählt man auch jeden Tag, dass es bei uns wie im Paradies ist. Sicher gibt es in Frankreich viele Krippen und Tagesmütter. Aber die Kinderbetreuung ist an Zeiten gebunden, die nur uninteressante Berufe zulassen. Manager oder höhere Angestellte sieht man jedenfalls nicht um siebzehn Uhr vor dem Kindergarten stehen. Es ist einerseits nicht möglich, mit Kindern Karriere zu machen, andererseits reden sie einem aber ein, dass man alle Möglichkeiten der Welt hat. Das französische Modell ist in erster Linie anstrengend. Arbeiten, mit hängender Zunge die Kinder abholen, kochen, waschen - das ergibt eine enorme Zahl an Arbeitsstunden.

Was waren für Sie persönlich die größten Entbehrungen?

Dass ich Jahre lang einen Brotjob machen musste, der mich nicht interessiert hat.

Sie waren bis 2006 Volkswirtin beim staatlichen Energieversorger "Électricité de France".

Ich habe hauptsächlich Papierkram erledigt, Statistiken im Internet recherchiert, alles unfassbar langweilig. Inzwischen bin ich nach Brüssel gezogen, weil das Leben hier günstiger ist als in Paris, wo ich gerade mal ein Mini-Apartment bezahlen konnte. Einmal die Woche fahre ich nach Paris, um Kontakte zu halten, dann kommt mein Lebensgefährte, der Vater der Kinder, aus Paris nach Brüssel, das ist wie der Schichtbetrieb in einer Fabrik.

Angenommen, niemand bekommt mehr Kinder: Was wird aus den Renten?

Das ist eine Frage, die mich immer sehr amüsiert. Warum sollte das für mich als Individuum ein Grund sein, Kinder zu bekommen? Für mich ist das dasselbe Argument wie: Wer wird Elsass-Lothringen zurückerobern? Mir persönlich sind die Renten egal. Zudem gibt es genügend Leute, die liebend gerne zu uns kommen und unsere Renten sichern möchten. Da muss man eben Immigranten ins Land lassen und ihnen mehr Rechte geben, voilà.

. . . im nächsten möchte man davonlaufen, das ist normal." Foto: Bilderbox

Sie schreiben, in Frankreich wäre es undenkbar, dass ein Staatsoberhaupt keine Kinder hat, wie etwa in Deutschland Angela Merkel.

Es wäre jedenfalls schwierig. In Frankreich ist es die Norm, dass eine Frau Kinder hat. Selbst eine erfolgreiche Politikerin wie Simone Veil, die als erste Frau Präsidentin des Europäischen Parlaments wurde, hat drei Söhne. In Frankreich würde man auch nie laut sagen, dass man keine Kinder will. Ich weiß von Journalisten, die für eine Magazin-Geschichte Frauen gesucht haben, die öffentlich sagen: "Ich will keine Kinder". Kaum eine wollte dabei mitmachen.

Worin unterscheiden sich französische Mütter von anderen Mütten, etwa in Deutschland oder Österreich?

Die Deutschen und Österreicher haben meiner Ansicht nach ein eher altmodisches Bild von Mutterschaft, von der Frau, die zu Hause bleibt und auf alles verzichten muss. Die Französin ist dagegen überzeugt, dass sie alles schaffen kann. Für sie ist Muttersein modern, eine Erweiterung des weiblichen Horizonts. Französische Frauen glauben, dass das eine Möglichkeit mehr in ihrem Leben ist, dabei schränkt es alle Möglichkeiten ein. Denn es gibt einen enormen sozialen Druck, wie man als Mutter zu sein hat. Dass man zwar arbeitet, aber nicht zuviel, denn das ist schlecht für die Kinder. Viele Frauen arbeiten deswegen mittwochs nicht, und am Abend sollen sie natürlich auch schön zu Hause bei den Kindern sein.

Und wo sind die Männer?

Man hört immer wieder, dass die Männer mehr machen und inzwischen auch ein Fläschchen halten oder wickeln können. Aber schauen Sie sich am Schultor um, beim Kinderarzt, am Elternabend - 80 Prozent Frauen. Die Männer zahlen den Preis nicht, sie verzichten auf nichts, nicht auf die Arbeit, nicht auf ihre Freunde.

Sollte es also einen neuen Gebärstreik geben, so wie ihn die Pille Ende der 60er Jahre mit sich gebracht hat?

1968 war ich zwar noch ein Kind, aber ich habe das alles von außen beobachtet und fand das fantastisch. Allein die Ästhetik: Mädchen in Plateauschuhen, junge Leute, die nach Indien fahren, Serge Gainsbourg und Jane Birkin im Fernsehen . . . In den 80ern und 90ern hatte ich das Gefühl, dass man mir was vorenthalten hat. Als Kind dachte ich, das werde immer so weitergehen.

Wie waren Sie denn als Kind?

Schüchtern. Ich habe nichts verstanden, und die Welt um mich herum hat mich total verwirrt. Das Einzige, was mich interessiert hat, waren Bücher.

Hatten Sie eine schöne Kindheit?

Eine langweilige, aber Langeweile ist Teil jeder Kindheit. Aufgewachsen bin ich in der Schweiz, mein Vater hat mit Aluminium gehandelt, meine Mutter war Hausfrau.

Der Historiker Philippe Ariès schrieb, dass Kindsein ein sehr junges Ideal sei. Früher sah man im Kind "ein gesittetes Äffchen", das, sobald es laufen konnte, am Leben der Erwachsenen teilnahm. Müssen wir uns vom Ideal der Kindheit wieder verabschieden?

Die Kindheit ist kein Paradies - das Paradies ist es, erwachsen zu sein! Es ist die Freiheit zu entscheiden, und die hat man erst, wenn man erwachsen ist. Als Kind ist man immer das Objekt seiner Eltern. Das ist doch eine frohe Botschaft: Die Kindheit ist ein Desaster, aber danach, als Erwachsener, amüsiert man sich.

Bereuen Sie es, Kinder zu haben?

Manchmal bereue ich es, ja. Wenn ich mit ihnen abends Hausaufgaben machen muss, sie frage, was habt ihr heute gemacht, was steht an - und dann haben sie am Jahresende doch wieder katastrophale Noten. Ich selbst habe die Schule gehasst, das kommt jetzt alles wieder hoch. Kinder interessieren sich ja auch für nichts. Wenn ich mit ihnen ins Ausland fahre, was schon kompliziert genug ist, dann weiß ich im Vorhinein, dass ich kein Museum besuchen kann. Weil sie das nervt. Dann kann ich sie entweder mit mir zerren und sie sind nach zehn Minuten sauer. Oder ich muss mit ihnen in den Zoo, was ich wiederum hasse wie die Pest.

Warum haben Sie überhaupt Kinder bekommen?

Aus einem traurigen Grund: Ich wollte nicht alleine sein. Wobei mir ein Kind gereicht hätte. Mein Lebensgefährte wollte zwei, weil er aus einer Familie kommt, in der es viele Kinder gibt.

Haben Sie bei Ihren Recherchen irgendein Land entdeckt, wo man mit dem Thema Kinder entspannt umgeht?

Nein, ich würde sagen, es ist überall gleich schlimm.

Skandinavien wird immer als Vorbild gepriesen.

In einem Land wie Schweden gibt es zwar mehr Betreuung, aber auch eine große soziale Kontrolle. Schwedinnen haben mir erzählt, dass sie unter hohem Druck stehen, etwa die Kinder nachmittags schon nach drei, statt nach vier Stunden aus dem Kindergarten abzuholen, weil das besser für sie sei.

Sie haben sich einen Namen als streitbare Publizistin gemacht, daneben arbeiten Sie aber auch als Psychoanalytikerin. Kommt daher Ihre kritische Sicht auf die Kindheit und die Familie?

Sicher macht einen die Psychoanalyse wach dafür, dass das Familienleben kein Postkartenidyll ist, sondern eine Quelle von Schwierigkeiten, Unglück und Neurosen sein kann. Ich erinnere mich aber auch an meine eigene Kindheit. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zwölf war, das war auch nicht immer lustig.

Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen?

Sie schlafen zum Beispiel schlecht, haben Beziehungsprobleme, trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Die meisten können irgendwie damit umgehen, unterdrücken aber ihre Bedürfnisse. Daran arbeiten wir.

In Ihrem ersten Buch, "Die Entdeckung der Faulheit", riefen Sie dazu auf, bei der Arbeit möglichst wenig zu tun. Nun warnen Sie davor, Kinder zu bekommen. Was kann jetzt noch kommen?

In meinem neuen Buch geht es um den Islam. Es heißt "Benimmbuch im Fall einer islamischen Revolution". Ich male mir aus, was passiert, wenn es in Frankreich eine islamische Revolution gibt. Ich gebe Tipps, welche Filme man sich ansieht, wie man sich kleidet, flirtet oder mit dem Alkohol umgeht, der größten französischen Leidenschaft.

Die Provokation ist Ihre Masche.

Nicht mein Buch ist die Provoka-tion, sondern die Mentalität der Franzosen. Nein, im Ernst, das Buch greift ja nicht den Islam an, sondern die Art der Franzosen, sich selbst als das Nonplusultra anzusehen. Wie schon in meinen anderen Büchern, will ich zum Denken anregen, indem ich die Perspektive umkehre. Ich sage: Islamische Revolution, alles halb so schlimm. Diese Veränderung der Wahrnehmung ist natürlich eine Technik der Provokation.

Macht das Spaß?

Es geht. Es ärgern sich ja auch Leute darüber, die ich kenne. Links angehauchte Menschen, die sich liberal und aufgeklärt und feministisch fühlen. Die finden mein Buch überhaupt nicht lustig, denn für sie ist der Islam gleich Unterdrückung der Frau, also lehnen sie ihn ab. Ich sage jetzt nicht, dass islamische Gesellschaften alles für die Befreiung der Frau tun, aber bevor wir das anprangern, sollten wir überlegen, ob die Frauen bei uns die totale Freiheit haben. Wir haben auch viele Formen, Frauen einen Kleidercode, ein Schönheitsideal aufzuzwingen. Als Frau muss man sich die Beine rasieren, ein Kostüm fürs Büro anziehen und so weiter.

In "Die Entdeckung der Faulheit" nehmen Sie das moderne Arbeitsleben auf die Schippe, die Phrasendrescherei, die Netzwerke, die Kungelei der Manager. Sie haben das Buch geschrieben, als Sie bei der Électricité de France angestellt waren. Wie haben Ihre Kollegen reagiert?

Wie im Krieg. Für die einen war ich diejenige, welche die Gruppe verraten hat, für die anderen war ich die Heldin. In der Zeit, in der ich oft im Fernsehen war, traute ich mich gar nicht über den Gang gehen, weil mich alle angestarrt haben.

Ihr Buch hat sich 250.000 Mal verkauft, trotzdem sind Sie dort geblieben.

Nachdem sie das Buch gelesen hatten, wollten sie mich rausschmeißen. Die Gewerkschaft hat das den Medien erzählt. Es wurde sehr viel über mich geschrieben, sodass sie mich nicht mehr feuern konnten. Danach dachte ich mir, ich habe jetzt durch das Buch genug Geld, also will ich auch in der Firma eine interessante Arbeit. Aber sie haben mich be-straft, indem sie mich weiter meinen Papierkram machen ließen. Ich hatte keine Lust auf diesen Blödsinn, deswegen haben sie mich 2006 schließlich gefeuert.

War das ein Triumph, dass Sie nicht mehr dort hinmussten?

Total. Ich hatte für mich selbst alles gewonnen und das ganz ohne Protektion.

Frau Maier, wie finden Sie diese Zitate berühmter Menschen: "Der Reiz des Familienlebens ist das beste Gegengift gegen den Verfall der Sitten", Rousseau.

Das ist das, was der Staat sagt, dass Familien der Garant für Stabilität sind. Wobei Rousseau nicht gerade mit gutem Beispiel vorangegangen ist, er hat fünf seiner Kinder in ein Heim gegeben. Vielleicht ist das aber auch das Revolutionäre seines Denkens: dass es normal und kompatibel mit der sozialen Ordnung sein kann, seine Kinder in ein Heim zu geben.

"Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und Augen der Kinder.", Dante.

Das ist doch ein Klischee. Aber ich vergebe ihm, er ist ein großer Dichter und hat schließlich die "Göttliche Komödie" geschrieben.

"Ein Leben ohne Kinder ist wie ein Garten ohne Blumen", Mireille Matthieu.

Hat sie denn Kinder? Die, die keine haben, reden ja immer am besten über sie. Ich jedenfalls warte darauf, dass meine Kinder groß werden und ich meine Freiheit genießen kann. Mütter, die schon älter sind, sagen zwar, dass das nicht so sein wird, aber ich glaube das jetzt einmal, auch wenn es naiv ist. Wenn ich fünfzig bin, beginnt mein Leben wieder neu .

Ist das nicht das Schlimmste, was man Kindern antun kann: Ihnen zu vermitteln, dass sie nicht der Lebensmittelpunkt sind?

Nein, man kann doch nicht die totale Liebe wie eine Maske vor sich hertragen! Jeder Mensch ist ambivalent, das ist die Natur. Die Eltern, die perfekt sein wollen - die sind die Gefahr für die Kinder. Sie lassen schon sich selbst keinen Platz, woher sollen also die Kinder den Platz bekommen, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln? Das ist es ja auch, was uns die Psychoanalyse lehrt: Die Leute, die niemals ambivalent sind, bereiten ihren Kindern die meisten Probleme.

Denken Sie nie, dass Ihre Kinder das Beste in Ihrem Leben sind?

Ich komme jetzt wahrscheinlich als Monster rüber, aber ich verstehe die Leute nicht, die sagen, sie sind stolz auf ihre Kinder. Wenn sie größer sind, wenn sie etwas im Beruf oder im Studium erreicht haben, mit 20, 23, gut. Aber wenn sie klein sind? Meine Kinder machen mir keine Schande, aber ich wüsste auch nicht, worauf ich gerade in diesem Augenblick stolz sein sollte.

Verena Mayer, geboren 1972 in Wien, lebt seit 1999 als Journalistin in Berlin und seit August 2009 in Zürich.

Zur Person

Corinne Maier, geboren 1963 in Genf, ist eine französische Psychoanalytikerin, Volkswirtin und Politologin. Sie arbeitete beim französischen Energiekonzern EDF und betätigte sich nebenberuflich als Publizistin. Sie ist mit dem Buch "Die Entdeckung der Faulheit" (Verlag Goldmann 2005, Originaltitel: "Bonjour Paresse", 2004) weit über Frankreich hinaus bekannt geworden.

Nach Erscheinen des Buches, das in dreißig Sprachen übersetzt und weltweit mit mehr als einer halben Million verkauften Exemplaren zum Beststeller wurde, hatte sie ihr Arbeitgeber entlassen. Nach Einspruch der Öffentlichkeit wurde Corinne Maier aber wieder eingestellt, verließ den Betrieb aber 2006 schließlich endgültig.

Für große Aufregung sorgte auch ihr 2007 in Frankreich und 2008 auf Deutsch erschienenes Buch "No Kid. 40 Gründe, keine Kinder zu haben" (Verlag Rowohlt), in dem Maier mit dem Ideal der Mutterschaft abrechnet und mit vielen Tabus bricht.

Corinne Maier ist selbst Mutter einer Tochter und eines Sohnes und lebt als Autorin und Psychoanalytikerin in Paris und Brüssel.