Laut dem CIO der Stadt Wien wird man sich 2021 nicht nur mit einzelnen digitalen Innovationen und Problemlösungen beschäftigen müssen, sondern vor allem um die Systeme kümmern, die dahinter arbeiten.
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Wir befinden uns im Jahr 2030. Es ist 6.32 Uhr, und die Schlafphasenwecker-Apps wecken Max und Anna und ihre beiden Kinder. Während Max das Frühstück macht, schaut Anna mit ihren Kindern auf den Schultablets ins Moodle der Schule, um sicherzugehen, dass alle Hausaufgaben erledigt wurden und die Schultaschen auch richtig gepackt sind.
Nach dem Frühstück zeigt die Wiener-Linien-App den Kindern, wann sie von zu Hause losgehen müssen, um rechtzeitig Bim, Bus oder U-Bahn zu erreichen. Max hat Homeoffice und beginnt seine Morgenbesprechung per Telefonkonferenz zu Hause am Schreibtisch. Anna muss hingegen heute mit dem Auto in die Arbeit fahren - ein kurzer Blick aufs Handy zeigt ihr, dass ihr E-Auto voll aufgeladen ist, welche Route sie nehmen muss, um nicht in den Stau zu kommen, wann sie starten sollte, um pünktlich an ihr Ziel zu gelangen und wo bei der Ankunftszeit voraussichtlich ein Parkplatz frei ist. "Wenn dann bald die selbstfahrenden Autos starten, wird man sich mit solchen Kleinigkeiten auch nicht mehr aufhalten müssen", denkt sich Anna.
Obwohl eine vierköpfige Familie eine logistische Herausforderung ist, ist das Leben in den vergangenen Jahren einfacher und planbarer geworden, finden Max und Anna. Sie können sich beide die Zeit besser einteilen und ersparen sich eine Menge davon, weil man inzwischen die meisten Verpflichtungen des Alltags online erledigen kann: Kindergarten- oder Schulplatz finden, Bauunterlagen einreichen, Elternsprechtage per Videokonferenz abhalten.
Vergangene Woche hat Max über die "mein.wien"-App die Benachrichtigung erhalten, dass sein Pass bald abläuft. Er müsse nur ein neues Foto hochladen, per Handysignatur den Auftrag bestätigen, und schon könne das neue Reisedokument zugestellt werden, stand in der Mitteilung. Die Aktualisierung des Handy-Personalausweises erfolge automatisch. Dasselbe gilt im Übrigen auch für den Führerschein. "Kannst du dich erinnern, wie lange wir früher für solche Sachen in den Wartezimmern der Amtshäuser verbringen mussten?", fragt er lächelnd Anna.
Staus sind durch digitale Verkehrslogistik auch weniger geworden: Dank "Predictive Maintenance" können Schäden an Straßen oder Gleiskörpern schon entdeckt werden, bevor sie auftreten - so können viele Baustellen vermieden werden. Auch die Freizeitgestaltung ist viel einfacher geworden. Sämtliche Veranstaltungen, immer auf den individuellen Geschmack abgestimmt, sind auf der Wien-Plattform zu finden - Kartenerwerb inklusive. Die Warteschlangen vor den Kassen sind Geschichte. "Und denk an die langen Wartezeiten in den Ambulanzen - jetzt erledigt der Arzt die Überweisungen deiner Mutter online, und ihre Physiotherapie kann sie mit den Telemedizin-Apps machen", meint Anna.
Max muss auch nicht mehr jeden Monat stundenlang über den Ausgabenlisten sitzen, der Haushaltsrechner ermöglicht dank Smart Meter, Finanzonline und dem Gebührenkonto der Stadt einen guten Überblick.
Dieses Szenario war in den 1980er Jahren noch Stoff für Science-Fiction-Filme. Und auch wenn zu Beginn des Textes steht: "Wir befinden uns im Jahr 2030", sei an dieser Stelle angemerkt, dass es die meisten der hier beschriebenen Dinge schon jetzt gibt: computerunterstütztes Lernen, Öffi-Apps, Telefonkonferenzen, E-Autos, automatisiertes Fahren, Online-Anmeldesysteme usw. Auch die Verwaltung setzt schon lange auf Online-Services: Wegen Anträgen für Parkpickerl, Schanigärten, Betriebsanlagen, Anlassmärkte, Verkaufsstände, Werbung für Geschäfte, Straßenarbeiten, kurzfristige Haltevorbotszonen oder Baueinreichungen muss man nicht mehr persönlich bei einem Amt vorstellig werden - man muss nur noch den Computer hochfahren. Nein - sogar das Hochfahren einer Festplatte ist mittlerweile schon "oldschool": Mit SSD-Karten ausgestattete Computer müssen nur eingeschaltet werden.
Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt
Per Handy-Signatur kann man ebenfalls schon von zu Hause aus Meldebestätigungen und Strafregisterbescheinigungen einholen, seinen Wohnsitz abmelden oder Formulare beziehen. Man kann Kindergartenplätze anmelden oder ein neues Gewerbe, man kann Urkunden bestellen (Geburts-, Heirats- oder Verpartnerungsurkunden) oder Petitionen einbringen. Es gibt elektronische Terminreservierungen für Eheschließungen, Wohnsitz-Anmeldung oder Passerstellung. Für 600 Amtswege gibt es bereits Amtshelferseiten mit für den Amtsweg erforderlichen Informationen (Zuständigkeiten, Fristen, etc). Bei 250 Amtshelferseiten gibt es auch Formulare. Bei 200 von den 250 kann man einen Online-Antrag stellen. "Und diese gesamte Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie noch zusätzlich beschleunigt, weil diese Services auch alle kontaktlos funktionieren", erklärt Klemens Himpele, seit kurzem Chief Information Officer (CIO) der Stadt Wien. Er ist für Digitalisierung und Prozessmanagement in der Stadtverwaltung verantwortlich und für Projekte, die dann gemeinsam mit der IT-Abteilung der Stadt Wien, der MA 01, umgesetzt werden.
Aber diese verstärkten Digitalisierungstendenzen haben nicht ausschließlich positive Aspekte. Im aktuellen Regierungsübereinkommen der rot-pinken Stadtregierung wird festgehalten, dass "Technologie" kein neutraler Begriff mehr ist, sondern das Sozial- und Arbeitsleben der Menschen massiv beeinflusst. Technische Innovation hin oder her - es macht einen großen Unterschied, ob zum Beispiel Kinder in einer Videokonferenz unterrichtet werden oder physisch anwesend in einem Klassenraum. Es macht einen Unterschied, ob beim Homeoffice ein eigenes Zimmer zu Hause zur Verfügung steht oder alle Familienmitglieder am Küchentisch sitzen müssen. "Deswegen wird auch ein Teil dieser Transformation, die wir durch Corona erleben, erhalten bleiben, aber ein anderer wird mit Sicherheit wieder zurückgenommen werden", ist Himpele überzeugt. Denn in der Stadt Wien sieht man sich dem "digitalen Humanismus" verpflichtet. Der besagt, dass die Technik dem Menschen dienen muss, aber niemals der Mensch der Technik.
"Aber eines ist klar: 2020 war nicht nur das Jahr der Pandemie, sondern auch das Jahr, in dem digitale Technologien endgültig bei der Bevölkerung angekommen sind", meint der CIO. Zwar gibt es Lieferdienste schon lange, und Amazon wurde auch nicht erst vor kurzem erfunden, aber die reale Nutzung dieser Möglichkeiten habe enorm zugenommen. "Das heißt, dass 2021 das Jahr sein wird, in dem es das alles zu gestalten gilt - und zwar auf mehreren Ebenen."
Wo setzt man welche Technologie sinnvoll ein?
Zum einen hat die EU-Kommission am 15. Dezember die Gesetzesentwürfe zum "Digital Service Act" und zum "Digital Market Act" vorgelegt, die das Potenzial in sich tragen, die Digitalisierung in Europa neu zu gestalten. (Das ist quasi die Nachfolge der "E-Commerce-Directive" aus dem Jahr 2000, die nun parallel in Ergänzung zu den Acts bestehen soll, Anm). Und zum anderen werde man sich im städtischen Kontext die Frage stellen müssen, wo man künftig welche Technologie einsetzen wolle, meint Himpele. "Ich bin dafür, etwa die Videotechnologien beizubehalten und nicht achtmal im Jahr nach Brüssel zu fliegen. Aber die Kollegen im Rathaus, die nur ein paar Minuten entfernt sind, würde ich schon lieber wieder physisch treffen wollen. Solche Dinge gilt es eben abzuwägen."
Die sehr komplexe und anspruchsvolle Herausforderung besteht also darin, das österreichische Datenschutzgesetz mit dem "Digital Service Act" und dem "Digital Market Act der EU" auf einen Nenner zu bringen, um die europäische IT-Wirtschaft zu regulieren und zu institutionalisieren. Denn bestimmte digitale Anwendungen benötigen massenhaft Daten, um die erwünschte Leistung zu erbringen. "Technologie ist die Grundlage unseres Wohlstands, aber wir sollten sie gestalten - und hier wird das Thema Datenschutz und Cyber Security eine große Rolle spielen müssen", sagt Himpele.
Das heißt aber auch, dass es wichtig sein wird zu entscheiden, über welche Server solche Anwendungen laufen sollen. Doch bis dato ist dieses Thema bei der Stadt Wien tunlichst vermieden worden. Eigene Cloud-Lösungen etwa, um sich von den globalen Playern zu emanzipieren, bergen große Risiken und bieten enorme Angriffsflächen. Aber dieser Diskussion wird sich die Stadt nun stellen und bald Entscheidungen treffen müssen. Das betrifft auch die Datenstrategie der Stadt, wo es unter anderem darum geht, statistische Daten, aber auch IT-Daten vernünftig zu nutzen.
Digitales Mitspracherechtfür die Bevölkerung
Es geht also bei der Digitalisierung der Stadt und bei der Umsetzung von Smart-City-Technologien gegenwärtig nicht bloß um zusätzliche technische Innovationen, die auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen (und ständig passieren - siehe neue Mobilität mit Verleihsystemen für E-Autos, E-Scootern usw.), sondern vielmehr um die Metaebene - um das ganze System, das dahinter arbeitet und sich in einem großen Wandlungsprozess befindet. Und es gibt auch das Ziel der Stadt, dass bis 2025 mindestens 15 Prozent der Bevölkerung ein digitales Mitspracherecht bekommen.
Abgesehen davon ist für Innovationen des Alltags ohnehin eine evolutionäre Entwicklung besser als eine schnelle, schlagartige. Die Welt von Anna und Max ist näher als wir denken. "Bis dahin sind aber noch gesellschaftliche Lernprozesse notwendig, die Zeit zum Reifen brauchen", sagt Himpele. "Nehmen Sie als Beispiel die E-Scooter: Wir können sie benutzen, aber ordentlich abstellen können wir sie nicht - dazu sind wir offenbar noch zu blöd."