Zentrale Führung und der Einsatz von Big Data waren der Schlüssel zu Koreas Erfolg im Kampf gegen Covid-19.
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Südkorea gilt mit seiner Covid-19-Strategie als vorbildhaft: Das Land hat bis heute weniger als 88.000 Fälle und weniger als 1.600 Covid-19-Tote. (Österreich: rund 450.000 bekannte Infektionen, 8.470 Todesfälle).
"Wiener Zeitung": Welche Elemente waren für den Erfolg von Südkoreas Covid-19-Strategie verantwortlich?
Jung Ki-suck: Die koreanischen Behörden verfolgten eine 3T-Strategie: Testing, Tracing, Treatment - also Tests, Kontaktnachverfolgung, Behandlung. Schon als vor über einem Jahr die ersten Lungenerkrankungsfälle aus Wuhan gemeldet wurden, begann die Koreanische Epidemiebekämpfungsbehörde unverzüglich, Detektions-, Test-, Tracing- und Quarantänemaßnahmen vorzubereiten. Damals war noch nicht einmal die Gensequenz des Virus bekannt. Also hat man bei der Korea Disease Control and Prevention Agency zuerst einen Pan-Corona-PCR-Test entwickelt, der alle Coronaviren detektiert. Damit wollte man sich so lange behelfen, bis spezifische Sars-CoV-2-Tests entwickelt waren. Als dann die Sars-CoV-2-Sequenz bekannt wurde, konnte man rasch spezifische PCR-Tests herstellen.
Was waren die Gründe dafür, dass Korea vergleichsweise schnell auf Covid-19 reagieren konnte?
Korea hatte im März 2015 einen Mers-Ausbruch. Wir wussten damals um die potenzielle Gefährlichkeit von Coronavirus-Infektionen gut Bescheid. Es gab schließlich im Jahr 2002 einen Sars-Ausbruch. Eines der wichtigsten Elemente war die Schaffung eines Emergency Operation Center im Gefolge des Mers-Ausbruchs. Es wurde damals ein leistungsfähiges EIS-System - Epidemiology Investigation Services System - aufgebaut. Als die Sars-CoV-2-Pandemie ausbrach, waren die Leute der Epidemiebekämpfungsbehörde KCDC bestens vorbereitet und auf einem hohen Trainingsniveau, weil wir ja davor fast jedes Jahr rund 1.000 Mers-Verdachtsfälle hatten.
Der zweite - genauso wichtige - Grund: Die Menschen wussten um die Wichtigkeit ihrer Kooperationsbereitschaft mit den staatlichen Dienststellen. Man hat nämlich beim Contact-Tracing ein Problem: Niemand möchte, dass der Staat weiß, wann man wen trifft. Bei Covid-19 erfassten die Menschen aber den Ernst der Lage, sie wussten, wie wichtig transparente Gesundheitsdaten in so einer Situation sind.
Sie haben die Bedeutung der koreanischen Seuchenbekämpfungsbehörde betont. In Österreich und auch Deutschland ist die Epidemiebekämpfung auf föderaler Ebene, in Korea liegen die wichtigsten Kompetenzen bei der Regierung in Soul.
Im Kontrollturm der Krisenbewältigungslotsen spielt die koreanische Seuchenbekämpfungsbehörde die Führungsrolle. Dieser Behörde ist das Gesundheitsministerium übergeordnet, das wiederum Premierminister Chung Sye-kyun untersteht. Aber natürlich können die Behörden in Seoul nicht die Lage im gesamten Land überblicken. Die lokalen Gesundheitsbehörden liefern alle Informationen an das Gesundheitsministerium, das dann daraus ein Lagebild des gesamten Landes zusammenfügt. Wir haben 226 lokale Gesundheitsbehörden, an die jeweils ein Gesundheitszentrum angegliedert ist. Denen übergeordnet sind wiederum 17 regionale Gesundheitsbehörden. Für dieser lokalen Gesundheitszentren arbeiten zwischen zwei und zehn Epidemie-Beobachter, die im Falle einer Epidemie sofort eingesetzt werden können. Aber für eine Pandemie in der Größenordnung von Covid-19 sind das natürlich viel zu wenige Mitarbeiter.
Welche Rolle spielten Koreas Informationstechnologie-Kapazitäten bei der Kontaktnachverfolgung? Immerhin ist Korea das Land von Samsung und LG.
Das spielte in der Tat eine außergewöhnlich wichtige Rolle. Wir konnten die Menschen sehr leicht anhand ihrer Kreditkarteninformationen, anhand von GPS-Daten, U-Bahn-Tickets oder ähnlichen Informationen lokalisieren. CCTV-Überwachungskameras spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Man hat nämlich bei der Kontaktnachverfolgung folgendes Problem: Die Patienten bestreiten oft, an bestimmten Orten gewesen zu sein, und sie bestreiten auch, dass sie mit möglicherweise infizierten Menschen in Kontakt gewesen sind oder dass sie eine Infektion an bestimmte Menschen weitergegeben haben könnten. Die Menschen sagen meist also nicht die Wahrheit.
Ein wichtiges Instrument war auch die Schaffung eines QR-Code-Systems. Wenn man heute in Seoul in eine Bar geht, in ein Restaurant, ein Café oder Fitnessstudio oder wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, dann muss man mit einem QR-Code einchecken. Das beschleunigt und erleichtert das Contact-Tracing enorm. Die Menschen haben außerdem die Sicherheit, dass die Daten nach einem Monat wieder gelöscht werden.
In Korea trugen die Menschen schon vor Covid-19 Schutzmasken. Welchen Beitrag hat das geleistet?
Masken sind - solange die Impfung nicht breit verfügbar ist - unser wichtigstes Abwehrmittel gegen die Pandemie. Davon sind wir in Korea hundertprozentig überzeugt. Sie haben recht, wir hatten in diesem Punkt einen Vorteil: In Korea gibt es seit vielen Jahren eine Kultur des Maskentragens. In der kalten Jahreszeit vor allem wegen der Gefahr einer Grippeinfektion. Aber auch sonst trugen schon vor der Covid-19-Pandemie viele Menschen Schutzmasken - allein schon wegen der Luftverschmutzung, die in manche Regionen des Landes ein großes Problem ist. Die Leute waren also daran gewöhnt, Masken zu tragen. Nach dem ersten Ausbruch haben die Menschen damit begonnen, Masken zu produzieren, sowohl in Heimarbeit als auch Unternehmen, die FFP2-Masken herstellten. Diese Masken-Disziplin war sicher mit einer der Gründe, warum Ostasien so viel besser durch die Krise gekommen ist als Europa oder die Vereinigten Staaten.
Hat man in Europa und den USA die Bedeutung von Masken unterschätzt?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Ja. Leider. Als ich zu Beginn der Pandemie Videos von der Londoner und der New Yorker U-Bahn gesehen habe, war ich in großer Sorge: Die Waggons waren knallvoll, aber viele Menschen trugen keine Masken oder schützten sich und die anderen nur notdürftig mit einen Schal. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Masken sind essenziell im Kampf gegen Covid-19!
In Europa, aber auch in den USA, verweist man darauf, dass ein Vergleich mit Ostasien nicht weiterführt: Taiwan ist eine Insel, Japan ist eine Insel, China ist ein autokratisch geführtes Land und auch Südkorea ist praktisch nur auf dem Luft- oder Seeweg erreichbar, denn vom Nachbarn Nordkorea ist das Land durch einen eisernen Vorhang aus Minenfeldern und Stacheldraht praktisch getrennt. All das hat es Ostasien leicht gemacht, sich zu isolieren.
Diese Beobachtung ist korrekt. Taiwan konnte sich besonders gut schützen, denn Taipeh hat den Luft- und Seeverkehr zwischen Taiwan und der Volksrepublik China gestoppt. Zu so einem drastischen Schritt wollte die Regierung in Seoul nicht greifen - dazu ist die Wirtschaft Südkoreas zu eng mit jener der Volksrepublik China verknüpft. In Japan ist die Situation wieder etwas anders, Japan ist sehr stark an den Rest der Welt angebunden und man hofft in Tokio, die Olympischen Spiele austragen zu können.
Wie wird in Korea die Gefährlichkeit der derzeit aufgetretenen Sars-CoV-2-Mutationen bewertet?
Wir verfolgen die Lage sehr, sehr aufmerksam. Die Expertinnen und Experten in Korea sind wegen dieser Mutationen sehr besorgt, denn sie haben auch schon unser Land erreicht. Bisher wurden aber all diese Mutationen bei Menschen entdeckt, die nach Korea eingereist sind, die Mutationen zirkulieren bisher noch nicht im Land. Wir müssen aber damit rechnen, dass das eines Tages geschieht.
Wie ist der Stand der Impfungen in Korea?
Auch bei uns haben die Impfungen begonnen. Man ist aber auch in Korea in Sorge, dass aufgetretene Mutationen durch die Impfung nicht wirksam bekämpft werden könnten. Im Moment sieht es zwar, was die Impfungen betrifft, ganz gut aus. Aber man kann diesen Fall natürlich nicht ausschließen.
Welche Impfstoffe werden eingesetzt?
Bei uns werden - wie in Europa - folgende Impfstoffe zum Einsatz kommen: Pfizer/Biontech, AstraZeneca, Moderna, Janssen - also Johnson & Johnson - und Novavax. Und wie in Europa oder den USA werden auch bei uns zuerst die vulnerablen Gruppen geimpft, betagte Menschen, die in Pflegeheimen leben, dann betagte Menschen, sowie das Spitals- und Pflegepersonal. Danach werden alle anderen Gruppen geimpft.
Jung Ki-suck ist Spezialist für Lungeninfektionskrankheiten wie Sars-CoV-2. Von 2016 bis 2017 war er Direktor der Epidemiebekämpfungsbehörde Korea Disease Control and Prevention Agency (KDCPA). Er ist der erste und einzige Arzt, der dieser Behörde bisher vorstand.