Zum Hauptinhalt springen

Corona-Impfung mit Vertrauensdefizit

Von Ronald Schönhuber

Politik
Mit Pfizer und Moderna hoffen gleich zwei Pharma-Unternehmen auf eine US-Notfallzulassung in den kommenden Wochen. Doch längst nicht alle Bürger wollen sich impfen lassen.
© stock.adobe.com/Trsakaoe

In der Corona-Krise gilt die Impfung als große Hoffnung. Doch es dürfte nicht nur lange dauern, bis ein Großteil der Bevölkerung immunisiert ist. Auch die Impfskepsis könnte zum Problem werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wie groß die Hoffnungen und Erwartungen sind, lässt sich nicht zuletzt an den Kurs-Charts ablesen. Als das US-Pharmaunternehmen Pfizer vergangene Woche angekündigt hatte, für seinen Corona-Impfstoff möglicherweise noch im November eine Notfallzulassung für den US-Markt zu bekommen, schoss der Aktienkurs um fast vier Prozent nach oben. Beim im Bundesstaat Massachusetts ansässigen Konkurrenten Moderna, der an diesem Dienstag eine US-Genehmigung im Dezember in Aussicht stellte, waren es vorbörslich immerhin 2,7 Prozent.

Mit einer Notfallzulassung der amerikanischen Behörde für Nahrungs- und Arzneimittel (FDA) könnten Teile der US-Bevölkerung - zum Beispiel medizinisches Personal oder ältere Menschen - auch vor der offiziellen Zulassung geimpft werden. Es wäre der erste Schritt zu einer Normalität ohne Abstandsregeln, Masken und Angst, gewissermaßen der Vorbote für die Massenimpfprogramme, die nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Jahresmitte 2021 großflächig ausgerollt werden könnten.

Schon jetzt ist allerdings klar, dass mit dem ersten Schritt kein Sprint beginnt, sondern ein Marathon. So geht etwa Matthias Schrappe, der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit der deutschen Bundesregierung, davon aus, dass eine Impfkampagne gegen Corona mehrere Jahre dauern wird. Dabei kalkulieren Schrappe und seine Kollegen mit rund 60 Millionen Menschen, die in Deutschland geimpft werden müssten. Bei einer Verabreichung von 60.000 Impfdosen pro Arbeitstag würde es also knapp tausend Arbeitstage oder vier Jahre dauern, bis alle dann auch tatsächlich geimpft sind.

Schrappe zufolge geht diese Modellrechnung zudem von optimistischen Annahmen aus, die sich in der Praxis wahrscheinlich nicht immer erfüllen lassen. So hätten Impfprogramme in der Vergangenheit - wie gegen Pocken oder Polio - Jahrzehnte gedauert. "Das ist ein komplizierter gesellschaftlicher Prozess", meint Schrappe. Schon einen Konsens zu finden, wer zuerst geimpft werde, sei schwierig.

Bis zu 40 Prozent Skeptiker

Damit ein "Herdeneffekt" eintritt und sich das Virus nicht weiter ausbreitet, müssten Experten zufolge zudem mindestens 60 Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Ob diese Quote erreicht werden kann, wird aber nicht zuletzt davon abhängen, wie hoch die Akzeptanz einer Impfung unter den Bürgern ist. Und diese sieht in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich aus.

So geben laut einer in 19 Ländern durchgeführten Studie des Vaccine Confidence Projekts, das unter anderem von der Europäischen Kommission und Pharmaunternehmen finanziert wird, 71,5 Prozent der 13.000 Befragten an, dass sie sich gegen Corona impfen lassen würden, wenn das von ihrer Regierung oder ihrem Arbeitgeber empfohlen wird. Deutlich über diesem Schnitt liegen dabei Länder wie China, Brasilien oder Australien, wo die Zustimmungsrate bei knapp 90 Prozent oder darüber liegt. Am unteren Ende der Rangliste - und mit deutlichem Abstand zu den im Mittelfeld liegenden Staaten Deutschland, Schweden und Großbritannien - finden sich ebenfalls drei europäische Länder. In Frankreich, Ungarn und Polen wollen rund 40 Prozent der Befragten sich nicht oder eher nicht impfen lassen.

Aus Sicht des in New York lehrenden Public-Health-Experten Scott Ratzan zeigt die Studie vor allem das sinkende Vertrauen in der Öffentlichkeit. "Es wäre eine Tragödie, wenn wir sichere und effiziente Impfstoff entwickeln, und die Menschen weigern sich, sie zu nehmen", sagt Ratzan. "Wir müssen einen robusten und nachhaltigen Ansatz entwickeln, um den Impfskeptikern die Sorgen zu nehmen und das Vertrauen in die Vorteile einer Immunisierung wieder aufzubauen."

Schon vor der Corona-Pandemie hatte die WHO die zunehmende Impfskepsis als eine der zehn größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit in ihren Mitgliedstaaten bezeichnet. So fanden sich hohe Akzeptanzraten vor allem noch in asiatschen Ländern, in denen auch die Zentralregierungen eine starke und oft unhinterfragte Stellung genießen. Eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, sich impfen zu lassen oder nicht, spielt zudem das Alter. So stehen ältere Bevölkerungsgruppen einer Impfung deutlich weniger skeptisch gegenüber als die Jüngeren.