Politologe Kurt Richard Luther über die derzeitige Fundamentalopposition der Blauen und Österreichs Protestkultur.
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Die FPÖ hat sich zum schärfsten Kritiker der Corona-Maßnahmen aufgeschwungen. In deftigen Reden wettert Klubobmann Herbert Kickl auf Demonstrationen gegen die Einschränkungen. Im Tagestakt fordern die Blauen die türkis-grüne Bundesregierung zum Rücktritt auf. Neue Maßnahmen werden kategorisch abgelehnt, den diese Woche präsentierten "grünen Pass" bezeichnete die FPÖ als "Einstieg für den Entzug der Grundrechte". Was es mit dieser Fundamentalopposition auf sich hat, analysiert der englische Politologe Kurt Richard Luther, der seit Jahrzehnten zur österreichischen Innenpolitik forscht.
"Wiener Zeitung": Herr Luther, wie ist die Strategie der FPÖ einzuordnen?
Kurt Richard Luther: Es zeigen sich Parallelen zu früheren Phasen der Parteientwicklung. Bevor die FPÖ 1983 und 2000 in die Regierung eingetreten ist, haben ihre damaligen Parteiobmänner Norbert Steger und Jörg Haider die Regierungsbeteiligung zum Primärziel erklärt. Vielleicht nicht offiziell, aber zumindest intern. Das hat unter anderem einen Themenwechsel und gemäßigteren, verbindlicheren Stil erfordert. 1986 und 2005 flog die FPÖ aber aus der Bundesregierung und wechselte die Strategie: Sie konzentrierte sich darauf, schonungslos Themen zu identifizieren, um ihre Wählerschaft zu maximieren.
Und das Gleiche passiert nun nach dem Ende von Türkis-Blau wieder?
Genau. In der FPÖ gibt es ein ständiges Pendeln zwischen den Zielen Regierungsbeteiligung und Wählermaximierung. Derzeit ist das Pendel eher bei der Wählermaximierung.
Früher war vor allem das Ausländerthema das blaue Zugpferd. Warum setzt die FPÖ nun auf Corona?
Wir haben uns daran gewöhnt, die FPÖ mit Euroskepsis und Ausländerfeindlichkeit zu verbinden. Mich hat es nie überzeugt, die FPÖ als reine Anti-Ausländerpartei zu klassifizieren. Sie ist eine opportunistische Partei, eine Protestpartei, die sehr geschickt darin ist, stimmenbringende Themen zu identifizieren und umzusetzen. Unter Steger hat sich die FPÖ etwa als Verteidigerin der Demokratie und Freiheit präsentiert. In den ersten Jahren nach dem Rauswurf aus der Regierung 1986 wurde diese Selbstdarstellung von Haider beibehalten. Sie hat in beiden Phasen gegen das Establishment gekämpft und wollte sich von den "Mainstream-Parteien" abgrenzen.
Die jetzige Rhetorik der FPÖ geht auch in diese Richtung.
Ja. Unter Steger waren es vor allem der Proporz, die "korrupte Sozialpartnerschaft" und der AKH-Skandal, mit denen die FPÖ eine Trennlinie zwischen sich und den "Mainstream-Parteien" ziehen wollte. Auch der Wechsel unter Haider von einer proeuropäischen Partei, die sie ja lange war, hin zu ihrer Euroskepsis war davon angetrieben. Nach Türkis-Blau hatte die FPÖ aber zunächst Probleme, diese Trennlinie wieder zu ziehen.
Warum?
Einerseits kann man ihr sofort Ibiza entgegenhalten, wenn sie sich als Kämpferin gegen Korruption präsentieren will. Andererseits ist sie mit ihrer EU-Skepsis und harten Migrationspolitik keine Nischenpartei mehr, seit Sebastian Kurz die ÖVP übernommen hat. Die FPÖ musste daher eine neue Nische finden, in der sie eine eigene Position etablieren kann. Und die ist nun eben Corona.
Könnte die Fundamentalopposition bei Corona nicht auch viele potenzielle Wähler verschrecken?
Ja, das kann der Fall sein. Aber genauso gut kann das Ziel der Regierungsbeteiligung mit einem gemäßigteren Stil Folgen haben. Das sah man bei Knittelfeld (Machtkampf in der FPÖ im Jahr 2002, der zum Bruch der ersten schwarz-blauen Koalition führte, Anm.). Damals waren viele Wähler und Funktionäre verärgert, dass die FPÖ keine Protestpartei gegen "die da oben" mehr war.
Medial ist oft von einem Zweikampf in der FPÖ zwischen Klubobmann Kickl und Bundesparteiobmann Norbert Hofer die Rede. Wie sehen Sie das?
Kickl bleibt die Verkörperung des kompromisslosen Strebens nach Stimmenmaximierung. Der gemäßigtere Stil mit dem Ziel einer Regierungsbeteiligung wird auf Bundesebene von Hofer repräsentiert und auf Landesebene unter anderem in Oberösterreich von Manfred Haimbuchner. Es gibt also parteiintern unterschiedliche Meinungen zur Ausrichtung. Aber die gibt es in jeder Partei, in der SPÖ sind die Kämpfe zum Teil härter als in der FPÖ. Meiner Meinung nach ist der Zusammenhalt in der FPÖ derzeit gut - vor allem, wenn man die Situation mit jener von 1986, Knittelfeld oder dem Abspalten des BZÖ vergleicht.
Hat Kickl derzeit das Oberwasser in der Partei?
Die Bundespartei und die meisten Landesgruppen haben bei Wahlen viele Stimmen verloren. Sollte die türkis-grüne Bundesregierung halten, gibt es kurz- und mittelfristig keine Perspektive auf eine Regierungsbeteiligung, außer in Oberösterreich. Von dieser Perspektive aus ist die Strategie, die Hofer repräsentiert, nicht so vielversprechend. Aus Sicht der FPÖ sprechen derzeit die stärkeren Argumente für Kickl.
Was bedeutet das für Hofer?
Hofer ist weiterhin im parlamentarischen Bereich wichtig: Er kann mit seinem verbindlicheren Stil mit anderen Parteien zusammenarbeiten. Denn Kickls aggressive Rhetorik finden viele Mandatare widerlich und unangemessen.
Zuletzt wurde der Partei ein Rechtsruck attestiert - etwa aufgrund der scharfen Rhetorik gegen Israel. Wie schätzen Sie das ein?
Ich glaube, dass man das nicht überbewerten sollte. Für mich zeigt das eher, wie opportunistisch die Partei ist, wie sehr sie kalkuliert und ihre Rhetorik ändert, um Wählerstimmen zu gewinnen. Mit dem rechtsextremen Rand kann man jedoch nicht nur keinen Staat machen, sondern auch keine Wahlen gewinnen. Um ihre Stimmen zu maximieren, muss die FPÖ die vielen Arbeiter zurückholen, die sie verloren hat.
Was ist in den nächsten Monaten von der FPÖ zu erwarten?
Die Corona-Restriktionen werden wohl in wenigen Monaten gelockert, sobald die Impfungen nicht mehr so schleppend verlaufen. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind aber noch nicht völlig spürbar. Wenn sie es sind, werden sie wahrscheinlich die traditionellen Kernwähler der FPÖ am stärksten treffen. Es kann daher gut sein, dass sich dann die Rhetorik der FPÖ wieder verändert, weg von der Betonung der Freiheit hin zurück zu sozio-ökonomischen Themen.
Ein wichtiger Test für die Partei werden die Landtagswahlen in Oberösterreich sein. Womit ist dort zu rechnen?
Oberösterreich war immer eine Hochburg der FPÖ, auch bei der Zahl der Parteimitglieder. Für die dortigen Wahlen ist es vielleicht nicht hilfreich, wie sich Kickl benimmt. Aber angeblich hat Haimbuchner kein Interesse, Bundesparteiobmann zu werden. Also wird er sich wohl damit abfinden müssen, dass es auf Bundesebene eine harte Linie gibt. Vorerst wird es jedoch seine Priorität sein, sich von seiner Infektion mit dem Coronavirus zu erholen.
Auffallend ist, dass es in Österreich besonders heftige Corona-Proteste gibt. Warum ist es in manchen anderen europäischen Ländern deutlich ruhiger?
In Großbritannien gibt es keineswegs diese harten Proteste gegen die Einschränkungen. Das könnte daran liegen, dass wir in Großbritannien mit mehr als 125.000 Todesfällen weltweit eine der höchsten Pro-Kopf-Todesraten haben. Möglicherweise gibt es aber auch politische Gründe.
Welche?
Die Protestkultur und Kultur des Anti-Establishments sind in Österreich viel ausgeprägter. Mit der FPÖ gibt es eine organisierte und etablierte Protestpartei. Sie kanalisiert den Protest und sorgt dafür, dass er stärker wird. In Großbritannien gibt es eine solche Partei nicht. Die UK Independence Party war mit dem Brexit stets nur eine Ein-Themen-Partei.