Corona-durchdrungen im wortwörtlichen Sinne: Die Krone findet sich auf erstaunlich vielen Gebäuden und Plätzen der Bundeshauptstadt.
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Mit einem Schlag hat Wien sein Markenzeichen verloren. Dank Corona kam das, wofür die Stadt in aller Welt berühmt ist, zum Erliegen: Kunst, Kultur, Tourismus. Zentrale Imagefaktoren sind weggebrochen - und dies wohl noch für einige Zeit. Steht uns eine urbane Identitätskrise bevor?
Fest steht: Das Virus steuert Aufmerksamkeit. Die Allgegenwart des Themas, kombiniert mit der extremen Reduktion des öffentlichen Lebens, lenkt unsere Augen auf Dinge, die wir - im Unterschied zu den Touristen - schon lange nicht mehr bewusst wahrnehmen. Ich meine hier ganz banal und formal: das Krönchen, das nun unser aller Leben bestimmt.
Denn Wien ist zutiefst corona-determiniert. Um dies zu erkennen, muss man gar nicht in die Schatzkammer gehen. Die Krone ist auch außerhalb des Museums die heimliche Signatur der Stadt, imperiales Branding, wohin das Auge reicht. Sie findet sich überall im Stadtbild, auch heute noch, mehr als hundert Jahre nach dem Ende der k.undk. Monarchie.
Auf Zäunen & Brücken
Auf der Hofburg, am Reichskanzleitrakt, dem Sitz Kaiser Franz Josephs, thront wohl die opulenteste. Aber auch auf der Neuen Burg, am Michaelertor, am Burgtheater (als symbolträchtiges Vis-à-vis zum bürgerlichen Rathausmann). In verkleinerter Form begegnen wir ihr an den Zaunspitzen des Burggartens oder an den Kandelabern am Maria-Theresien- und Heldenplatz. Weiter stadtauswärts am Schloss Schönbrunn natürlich, wo sie den Besuchern golden entgegenleuchtet, am unweit davon gelegenen Hofpavillon, im Schloss Belvedere, aber auch ganz profan an Amtshäusern oder Brücken.
Ein besonders schönes Exem-plar befindet sich an der Kennedybrücke: Die zwei die Kaiserkrone tragenden Bronzeadler wurden von der demolierten Hietzinger Brücke übernommen. Auch im Prater, auf der zur Weltausstellung 1873 errichteten und 1937 spektakulär abgebrannten Rotunde, befand sich eine überdimensionale, fast sechs Meter hohe vergoldete Krone, die das umliegende Gelände weithin beherrschte.
Euphorisch hieß es in einer zeitgenössischen Kritik über die aufwendige Machart derselben: "Die Krone ist eines der kolossalsten und prächtigsten Stücke moderner Schmiedearbeit. Zur Herstellung haben 22 bis 24 Arbeiter sieben volle Monate hindurch gearbeitet. Sie ist durchwegs aus reinem, steierischem Schmiedeeisen getrieben und jede Art von Gusseisen bei derselben grundsätzlich vermieden. Die Steine in der Krone, welche, wenn von der Sonne unter einem gewissen Winkel beschienen, wie Karfunkel leuchten und glänzen, sind geschliffene Stücke von gefärbtem böhmischem Glas."
Symbolträchtiges Stadtmarketing war schon im 19. Jahrhundert nicht unbekannt. Zum architektonischen Schmuck der Stadt avancierte die Krone ganz besonders mit der langen Regentschaft von Kaiser Franz Joseph. Die groß angelegten Feierlichkeiten der Jahre 1900 (siebzigster Geburtstag) und 1908 (sechzigjähriges Regierungsjubiläum) drückten der Stadt ihren imperialen Stempel auf. Umzüge mit Illuminationen und unzähligen Kronenbildnissen waren Teil einer strategisch klug gesetzten Herrscherverehrung. Vor allem der Kaiser-Huldigungs-Festzug von 1908 setzte neue, bis dahin nicht gekannte Maßstäbe der Inszenierung. Hier stellte sich seine Person, stellvertretend für die Monarchie und den Vielvölkerstaat, ein letztes Mal mit allem Prunk und Gloria dar. Zentraler Schauplatz des üppigen Defilées war die Ringstraße, die von über einer halben Million, zum Teil eigens angereisten ZuschauerInnen gesäumt wurde.
An markanten Orten wie Rathaus oder Parlament waren riesige Kunstarchitekturen mit Lichtobjekten errichtet worden, die dem bis in die Nacht hinein dauernden Festzug einen spektakulären Rahmen boten. Symbolisch herausragendste Stelle war das Burgtor als eigentlicher Eingang in das Areal des Hofes. Als solches war es besonders hervorgehoben, wie die Zeitschrift "Wiener Bilder" rückblickend voll Bewunderung feststellte: "Die Beleuchtung hat alle Erwartungen übertroffen, es war das Effektvollste, was je in Wien gesehen worden ist. Es drängte sich das Publikum am äußeren Burgtor, das ein einziges Flammenmeeer von ganz außerordentlicher Schönheit bildete. Beim Aufsatz auf dem Giebel des Tores erstrahlten die Kaiserkrone und ein mächtiger Adler."
Auch zahlreiche zu Ehren des Kaisers errichtete profane Gebäude, etwa die Gewerbliche Fortbildungsschule am heutigen Margaretengürtel, wurden mit den Jubiläumsjahren und einer großen steinernen Krone versehen.
Habsburg-Erinnerung
Zwar stürzten nach 1918, wie der Feuilletonist Alfred Polgar treffend formulierte, "die bronzenen, hölzernen, gipsenen Doppeladler von Hausfassaden", dennoch blieben noch genügend kleinere und größere Kronen übrig. Gemeinsam mit der weiterhin bestehenden herrschaftlichen Architektur wirkten sie nachhaltig und prägend.
"Ganz Wien ist eine habsburgische Erinnerung, die offen zutage liegt", stellte Raoul Auernheimer noch Jahre später unmissverständlich klar. Und wenn wir heute an den Opernball denken, dieses weltweit einzigartige, medienwirksam um die ganze Welt gehende Ereignis, so kann man getrost vermuten, dass hier nicht zufällig und ganz bewusst, die Monarchie wieder auflebt.
Und vielleicht könnte man, um den Gedanken weiterzuspinnen, urban-psychologisch sagen: Wien war lange und ist bis heute eine Kronen-Stadt. Als solche ist sie auf der internationalen Landkarte markiert. Der Platz ist besetzt. Kein Bedarf für weitere Krönchen. Corona kann also ruhig weiterziehen . . .
So ist wohl auch jene flehentliche Bitte auf einer Kinderzeichnung zu verstehen, die an der Pestsäule - Wiens zentralster, mit unzähligen Kerzen und Heiligenbildern bedachter Corona-Gedenkstätte - angebracht ist. Darauf ist symbolträchtig, direkt unter der riesigen Goldkrone des Barockdenkmals, zu lesen: "Gott beschütze uns vor dem Corona
Virus".
Peter Payer, geboren 1962, ist Historiker, Stadtforscher und Publizist.