Das bisherige Test-Programm hat Defizite, die durch die neue Strategie nicht behoben werden. Eine Analyse.
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Die von Gesundheitsminister Johannes Rauch vorgestellte neue Teststrategie ist, um präzise zu sein, die Fortschreibung der bisherigen - mit Obergrenze. Ab 1. April werden nicht mehr unbegrenzt viele Tests zur Verfügung stehen, sondern pro Person und Monat fünf PCR- und fünf Antigentests. Wer einen begründeten Verdacht hat, infiziert zu sein, wird auch darüber hinaus getestet werden. In diesem Fall greift nicht §5a ("Screenings") des Epidemiegesetzes, sondern §5 ("Erhebungen über das Auftreten einer Krankheit").
Und, um sehr präzise zu sein, war Österreichs Testprogramm bisher auch weniger eine Strategie im Sinn eines Masterplans. Es war mehr ein epidemiologisches Experiment, dem anfangs wissenschaftliche Theorien, später dann nur mehr eine Hoffnung zugrunde lag. Die Idee war, dass sich durch das kostenlose und niederschwellig verfügbare Angebot so viele Menschen regelmäßig testen, dass ausreichend viele Infektionsketten durchbrochen werden, um die Wellen effektiv zu brechen. Weder bei Delta im Herbst noch bei Omikron ist das gelungen. Die ursprüngliche Theorie muss nicht falsch gewesen sein, aber in der Praxis testeten sich dann zu wenige Menschen. Und die kürzere Inkubationszeit der Varianten erschwerte die Eindämmung zusätzlich.
Frühzeitige Diagnose für Risikopatienten wichtig
Was blieb, war vielleicht eine leichte Bremsung des Infektionsgeschehens. Vielleicht. Eine Evaluierung der Wirksamkeit ist mangels Daten nicht möglich. So bleiben zarte Indizien, die noch dazu nicht eindeutig sind. In Wien, wo besonders viel getestet wurde, war das Fallgeschehen etwas geringer als in anderen Bundesländern, wobei Wien auch strengere Maßnahmen hatte. Auf der anderen Seite kam Österreich im europäischen Vergleich insgesamt nicht besser durch diese Phasen. Was unstrittig ist: Richtig angewendet und kombiniert mit anderen Maßnahmen, können die Tests individuell sehr nützlich sein.
Das unbegrenzte Angebot hat aber jedenfalls auch zu Testexzessen geführt. Schon im Herbst war in einigen Bundesländern aufgefallen, dass etwa etliche Infizierte täglich versuchten, sich freizutesten. Das hat Ressourcen gebunden und viel Geld gekostet, ohne nennenswerten Nutzen für die Allgemeinheit. In Wien hatten in der Vorwoche 50.000 Personen (fast) täglich eine Gurgelprobe zur Auswertung geschickt. Das sind immerhin rund 300.000 Tests für rund zwei Millionen Euro.
"Es nützt nichts, wenn sich 20 Prozent der Bevölkerung, die ohnehin alle Schutzmaßnahmen ergreifen, jeden Tag testen. Es hat sich leider aber niemand darum gekümmert, dass sich die restlichen 80 Prozent auch testen", schrieb Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien, auf Twitter.
Das kostenlose Angebot für die Allgemeinheit bedingte nicht nur gelegentliches Urassen, Politik und Behörden zogen sich auch weitgehend aus der spezifischen Kommunikation zurück. Die Information, wer wann und aus welchen Gründen testen soll, ist aber wichtig. Es gibt gar nicht so wenige Personen, die trotz Impfungen ein deutlich erhöhtes Risiko aufweisen, im Fall einer Infektion schwer zu erkranken. Wenn sie aber frühzeitig diagnostiziert werden, stehen diesen Menschen seit heuer Medikamente (monoklonale Antikörper, Paxlovid, Molnupiravir) zur Verfügung, um therapeutisch intervenieren zu können.
Kontingentierung beseitigt Defizite nicht
Damit diese Medikamente rechtzeitig verabreicht werden können (binnen drei bis fünf Tagen), muss aber die Informationskette zwischen Patient, Labor, Ärztin und Behörde gut funktionieren. Die Ärztekammer fordert deshalb eine automatische Information an behandelnde Ärzte, wenn einer ihrer Patienten positiv getestet wird. Das geht jedoch nicht. "Pervertierter Datenschutz", sagt dazu Kammer-Vize Harald Mayer.
In dieser Hinsicht ist die verbreitete Praxis, daheim zu testen, auch nicht optimal, jedenfalls ambivalent. Einerseits kann bei den ersten Symptomen sofort getestet werden, das erspart also Zeit. Andererseits ist die Abstrichnahme durch Laien fehleranfälliger und ein Laborergebnis zudem keine medizinische Diagnose.
Die von der Bundesregierung beschlossene Kontingentierung unterbindet nun zwar einen überbordenden Gebrauch, an anderen Defiziten des Testprogramms ändert sie aber nichts. Und eine bessere Allokation der Tests hin zu jenen, die sie wirklich benötigen, geschieht auch nicht. Vorerst hat Rauch nur einen Teil der Gratistests gegenüber dem Begehr des Finanzministers "gerettet". Dabei ist nicht einmal sicher, ob die Kosten dadurch relevant gesenkt werden können. Wenn durch die gedrosselte Nachfrage die Stückkosten pro Test steigen, könnte die Einsparung geringer ausfallen als erwünscht. Wie groß die Bandbreite der Kosten ist, zeigt der Vergleich Wiens mit Tirol, wo der Preis pro Test dreimal so hoch war wie in Wien.
Vorbereitung auf den Herbst
Eine Schwäche der alten, neuen Teststrategie besteht auch darin, dass sich die Infektionslage in nicht allzu ferner Zukunft ändern könnte. Sollte der kommende Sommer ähnlich mild verlaufen wie die beiden vorangegangenen, wirken zehn Tests pro Monat recht viel, zumindest wenn man bedenkt, dass sie hunderte Millionen Euro kosten. Es ist realistisch anzunehmen, dass in diesem Fall, bei sehr geringer Inzidenz, die kostenlosen Screeningtests gänzlich zurückgenommen werden. Aber was ist dann im Herbst?
Michael Wagner, Molekularbiologe der Uni Wien, sorgt sich, dass die Infrastruktur dann nicht so schnell erneut aufgebaut werden kann, um einen wieder steigenden Bedarf zu decken. Man müsse sich, sagt er, bezüglich der Erhaltung der prinzipiellen Kapazität für die kommende Welle Gedanken machen und die Teststrategie modifizieren. Aber wer macht das? Das Gecko-Gremium hat dazu bisher keinen Auftrag erhalten.
Wie die ab April geltende Beschränkung operativ umgesetzt werden soll, ist auch noch unklar. Die fünf Antigentests werden jedenfalls über Apotheken abgegeben ("Wohnzimmertests"), damit hat man auch bereits Erfahrung gemacht. Das ist die leichtere Übung. Als Zutrittstests für Besuche im Pflegeheim reichen diese derzeit jedoch nicht, hier ist also eine Adaptierung nötig.
Wie aber über die verschiedenen PCR-Testschienen (Apotheken, Teststraßen, Gurgeltests über Supermärkte) und über Bundesländergrenzen hinweg kontrolliert werden kann, wer wie viele Tests abgegeben hat, ist auch noch unklar. Grundsätzlich müssen die Länder dafür Sorge tragen, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Die Länder haben für die Erfassung jedoch unterschiedliche IT-Systeme, auch wenn es seit Einführung des Grünen Passes eine Schnittstelle mit dem öffentlichen Gesundheitsportal gibt. Das heißt aber nicht, dass alle auch direkten Zugriff haben.