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Corona trifft Indien immer härter

Politik

Indien hat weltweit bereits die drittmeisten Infizierten, die Spitäler sind zusehends überlastet. Erneute Ausgangssperren kann sich das Land aber nicht mehr leisten.


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Sie kämpfen an vorderster Front gegen das Coronavirus und fühlen sich im Stich gelassen. Die Krankenschwestern des indischen Kasturba-Krankenhauses, einem kommunalen Spital in der Hauptstadt Neu Delhi, haben Anfang der Woche eine einstündige Protestaktion abgehalten. Denn sie haben nach eigenen Angaben seit drei Monaten kein Geld mehr erhalten. "Wir riskieren unser Leben und bekommen nicht einmal ein Gehalt?", zitiert die Zeitung "The Indian Express" eine der demonstrierenden Krankenschwestern.

Auch aus anderen öffentlichen Krankenhäusern wird berichtet, dass das medizinische Personal auf seine Gehälter warten muss. Es gibt sogar einen Gerichtsbeschluss, der die zuständigen Behörden auffordert, endlich die versäumten Zahlungen nachzuholen. Die North Delhi Municipial Cooperation, die kommunale Gesellschaft, der das Kasturba-Krankenhaus untersteht, hat auch schon angekündigt, dass sie so schnell wie möglich die Löhne auszahlen will. Doch ihre Vertreter beklagen, dass sie wegen der Corona-Krise nun selbst mit viel geringeren Einnahmen, etwa durch diverse Steuern oder Parkgebühren, zu kämpfen haben. Deshalb falle es schwer, die nötigen Gelder aufzutreiben.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Die Krankenhausangestellten kommen so in immer größere Existenznöte. Und das in einer Zeit, in der dem Land und damit den Spitälern aufgrund der Corona-Krise das Schlimmste noch bevorstehen könnte.

Denn die Pandemie trifft Indien mit immer größerer Wucht. Das Land hat mittlerweile Russland überholt und liegt bei den registrierten Covid-19-Infektionen hinter den USA und Brasilien an dritter Stelle. Stand Donnerstagnachmittag zählte Indien 767.296 Covid-19-Erkrankungen, von denen 23.236 tödlich endeten.

Gemessen an seinen 1,3 Milliarden Einwohnern liegt das asiatische Land in einer Pro-Kopf-Statistik noch immer hinter vielen europäischen Ländern. Aber: Indien testet auch wesentlich weniger als die Europäer. Deshalb befürchten Virologen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegen könnte. Dass die Regierung die - aber immer noch geringen - Testkapazitäten in den vergangenen Wochen hochgefahren hat, ist wohl auch einer der Gründe, warum die Zahlen in diesem Zeitraum sprunghaft angestiegen sind.

Ein weiterer Grund ist die Lockerung des Lockdowns. Indien hatte bereits im März rigorose Ausgangssperren verhängt, diese aber seit Ende Mai Schritt für Schritt gelockert. Geschäfte stehen wieder offen, Fabriken haben ihre Produktion erneut aufgenommen, und auch der öffentliche Verkehr kommt wieder, wenn auch eingeschränkt, ins Laufen.

Indien konnte und kann sich die Ausgangssperren einfach nicht mehr leisten. Darüber hinaus drohte der hindunationalistische Premier Narendra Modi viele seiner Wähler immer mehr zu verärgern. Vor allem für die Armen war der Lockdown eine Katastrophe: Straßenhändler oder Schuhputzer leben von den Einkünften, die sie Tag für Tag erwirtschaften - und diese brachen plötzlich weg.

Das indische Gesundheitswesen war schon vor Corona überlastet und ist es nun noch mehr. Im öffentlichen Bereich kommen laut den jüngst verfügbaren Zahlen nur 0,5 Betten auf 1000 Bewohner. Zum Vergleich: In Österreich sind es 7,3. Die Regierung hat zwar versprochen, dass sie die Kapazitäten erhöhen wird, und auch Privatspitäler ihren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beitragen müssen. Doch genau das haben die Verantwortlichen laut Kritikern während des Lockdowns verabsäumt.

Medien und der Kurznachrichtendienst Twitter sind zudem voll von Berichten von Indern, die klagen, dass ihre an Covid-19 erkrankten Angehörigen von Krankenhäusern abgewiesen oder nicht entsprechend behandelt wurden. "Die Regierung hat uns im Stich gelassen", twitterte etwa die Userin Amarpreet, deren Familie später auch im Fernsehen Interviews gab.

Zuvor hatte sie einen Hilfeaufruf abgesetzt, weil ihr an Corona erkrankter Vater trotz hohen Fiebers und Atemproblemen von einem Spital nicht aufgenommen wurde. Kurz darauf ist er verstorben.(klh)