Zum Hauptinhalt springen

Corona und die Kapitalmärkte

Von Andreas Köster

Gastkommentare

Fünf bleibende Folgen der Pandemie.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im zweiten Pandemiewinter nähert sich für die Kapitalmärkte die akute Phase der Corona-Krise dem Ende. Investoren richten ihren Blick bereits auf die Post-Corona-Ära. Welche Auswirkungen der Pandemie bleiben langfristig, und welche werden wieder verschwinden? Diese Fragen werden über die Anlageerfolge der nächsten Jahre (mit)entscheiden. Fünf wesentliche Folgen lassen sich bereits heute absehen.

Die säkulare Stagnation endet

Seit Ausbruch der Lehman-Krise 2008 stotterte der globale Konjunkturmotor. Ein wesentliches Wachstumshemmnis war eine strukturelle Nachfrageschwäche. Weltweit reichten Konsumausgaben der privaten Haushalte, Investitionen der Unternehmen und Staatsausgaben der Regierungen nicht aus, um die vorhandenen Produktionskapazitäten auszulasten. Ökonomen sprachen von einer säkularen Stagnation.

Diese Phase geht nun zu Ende. Corona hat einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel befördert. Fast alle großen Wirtschaftsräume haben sich vom Mantra der Austerität verabschiedet und setzen stattdessen auf Wachstumsstimulation, auch um den Preis höherer Budgetdefizite. Im Zuge der Corona-Hilfen öffneten sich fiskalpolitische Schleusen. Diese Entwicklung wird sich nicht umkehren, dafür ist der gesellschaftliche und politische Konsens zu groß. Die Folgen sind steigende Verschuldungsraten, aber auch höhere staatliche Nachfrage.

Hinzu kommt ein Anstieg der volkswirtschaftlichen Effizienz. Mehr Investitionen, etwa in Digitalisierung, bedeuten mehr Produktivität. In Summe bedeutet die ökonomische Konsequenz daraus: Die säkulare Stagnation endet, das Potenzialwachstum steigt.

Der Anlagenotstand lässt nach

Damit verschieben sich Grundparameter für die Kapitalmärkte. Höheres Potenzialwachstum bedeutet mittelfristig höhere Zinsen in "sicheren Häfen", etwa bei US- oder deutschen Staatsanleihen. Für viele Anleger sind diese Assets ein Ankerinvestment. Werfen sie hinreichende Erträge ab, lässt der herrschende Anlagenotstand nach. Der Weg nach oben auf der Risikoleiter wird unattraktiver.

Steht uns damit das Ende des Niedrigzinsumfeldes bevor? Nein. Der Befund gilt nämlich in erster Linie für die USA. In Europa ist das Potenzial deutlich geringer, sowohl für höheres Wachstum als auch für anziehende Renditen. Daher bleiben für eurobasierte, rentenfokussierte Investoren Internationalisierung und Diversifizierung in andere Assetklassen die Schlüsselfaktoren zum Anlageerfolg. Wer als Anleger nur im Euroraum verharrt, vergibt Renditechancen. Wer nur auf Anleihen setzt, erwirtschaftet auch künftig in einer Total-Return-Betrachtung keine auskömmlichen Erträge.

Die Unternehmensgewinne als kräftige Kurstreiber

Der Ausbruch der Corona-Krise versetzte Unternehmen und Investoren in einen Schockzustand. Die vor Insolvenz oder zumindest Zombifizierung war groß. Knapp zwei Jahre später erweisen sich diese Befürchtungen als übertrieben. Einige Sektoren haben tatsächlich stark gelitten, etwa Luftfahrt oder Tourismus. Die große Insolvenzwelle ist jedoch bisher ausgeblieben. Mehr noch: Viele Unternehmen konnten ihre Gewinne in beeindruckender Weise steigern. Auch für Zombifizierungstendenzen finden sich in der Breite keine Anhaltspunkte.

Dieser Trend dürfte anhalten, denn viele haben schnell und entschlossen auf die Krise reagiert und ihre Geschäftsmodelle angepasst. Im Ergebnis ist die Profitabilität nicht gesunken, sondern oft sogar gestiegen - nicht zuletzt, dank staatlicher Konjunkturhilfen als Basis für deutliche Umsatzausweitungen. Mit der Aussicht auf höheres (nominales) Potenzialwachstum verstetigt sich dieser Trend. Bei Aktien werden höhere Gewinne den Gegenwind steigender Anleiherenditen überkompensieren - Gewinne werden hier also wichtiger als die Bewertung. Entsprechende Profitabilität vorausgesetzt, ist der Weg frei für höhere Notierungen. Davon werden aber nicht alle Unternehmen gleichermaßen profitieren.

Digitalisierung und Dekarbonisierung treiben Rohstoffpreise nach oben

Corona hat den Digitalisierungsbedarf auf allen gesellschaftlichen Ebenen schonungslos offengelegt. Steigende Investitionen werden die Folge sein. Außerdem sind - anders als anfangs erwartet - Nachhaltigkeitsaspekte nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Im Gegenteil. Die EU, die USA und auch China fordern und fördern in ihren Fiskalprogrammen die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Dieser Umbruch wird sich auch im Rohstoffsektor widerspiegeln. Die Nachfrage nach Commodities dürfte insgesamt zunehmen, die Preise sollten steigen. Rohstoffe zählen daher zu den Favoriten im Post-Corona-Zeitalter.

Aber die Gewinner von morgen sind nicht die Champions von gestern. Die Differenzierung innerhalb der Assetklasse nimmt zu. Metalle wie Kupfer, Lithium und Nickel werden noch stärker nachgefragt werden, um Kapazitäten für die Erzeugung und Speicherung erneuerbarer Energien auszubauen. Beobachten lässt sich dies bereits bei Kupfer. So enthält ein E-Auto im Schnitt rund 83 Kilo Kupfer, viermal so viel wie ein Verbrenner. Perspektivisch dürfte der Nachfrageüberhang bei einzelnen Rohstoffen zu einem neuen Superzyklus führen. Fossile Energien wie Kohle, Rohöl und Gas dürften hingegen an Bedeutung verlieren.

Keine Stagflation in Sicht

Die Pandemie hat über mehrere Kanäle den zuvor herrschenden Trend zur Disinflation, also zu immer weiter sinkenden Preissteigerungsraten, beendet. Ein wichtiger Punkt ist dabei die erfolgreiche Bekämpfung der Unterauslastung der Wirtschaft über eine höhere Nachfrage, allerdings sind auch andere Kräfte strukturell preistreibend. Im Ergebnis führt Corona aber nicht zu Stagflation. Dieses Schreckgespenst aus den 1970ern wird sich in den 2020er Jahren nicht wiederholen. Stattdessen werden wir künftig vor allem in den USA wieder "normale" Inflationsraten sehen. Im Schnitt dürfte dort die Teuerung etwas oberhalb der 2-Prozent-Marke liegen, in der Eurozone eher darunter. Dort bleiben die Kapazitäten auf Sicht nicht voll ausgelastet, was - trotz strukturell inflationstreibender Kräfte - für geringen Preisdruck sorgt.

Im Ergebnis ist die Geldpolitik in der Eurozone auf Sicht der kommenden Jahre von "4 Ls" gekennzeichnet: (EZB-Präsidentin Christine) Lagarde bleibt lange, lange locker.