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Countdown für Einigung auf EU-Reform

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Gusenbauer blitzt in Warschau ab. | Briten wollen einige Ausnahmen. | Brüssel/Warschau. Die Bemühungen zur Rettung von Teilen der bisher gescheiterten EU-Verfassung kommen in die heiße Phase. Erst gestern, Montag, blitzte der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer mit einem Vermittlungsversuch beim polnischen Premier Jaroslaw Kaczynski ab. Der ist mit einem Kernstück der Reform, dem geplanten neuen Abstimmungssystem - der doppelten Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen) - nicht einverstanden.


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Dabei will die deutsche Bundeskanzlerin und amtierende EU-Vorsitzende Angela Merkel schon in zehn Tagen alle EU-Staats- und Regierungschefs auf einen Zeitplan und inhaltliche Grundzüge eines "vereinfachten Vertrags" einschwören, wie er auf Anregung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gerne genannt wird. Ziel ist, das neue Werk möglichst unterhalb der Referendumsschwelle zu halten. Hatten doch die Volksabstimmungsniederlagen in Frankreich und den Niederlanden die Krise ausgelöst.

Österreich gehört zu jenen 18 Ländern, die den Verfassungsvertrag in seiner obsoleten Form bereits ratifiziert haben und daher so viel wie möglich davon erhalten wollen. Kaczynski stört dagegen, dass sein Land bei einer Abkehr von den derzeit gültigen Regeln gegenüber den deutschen Nachbarn an Stimmgewicht verlieren würde. Offiziell wird Warschau von seinem die Bevölkerungszahl relativierenden so genannten "Quadratwurzelsystem" vor dem Gipfel am 21. und 22. Juni auch kaum abweichen.

Doch lediglich Tschechien hat ebenfalls Sympathie für diese Idee. Unter der Hand wird daher mit Kompromissbereitschaft Polens gerechnet, wenn sich nicht überraschend noch einige andere mittelgroße EU-Mitglieder auf seine Seite stellen.

Blair gegen Beseitigung des Veto-Rechts

Problematischer scheinen einige britische Sonderwünsche. Der scheidende Premier Tony Blair versucht offenbar eine Reihe von Ausnahmeregelungen für sein Land zu erzielen, obwohl er den Verfassungsvertrag selbst unterschrieben hat. "Vertragsbruch" monieren Verfassungsfreunde bereits.

Bei Strafrecht, Außenpolitik und Arbeitsrecht will sich London laut "Financial Times" auch künftig keinesfalls fremdbestimmen lassen. In den ersten beiden Bereichen kämpfen die Briten demnach gegen die geplante Beseitigung des Veto-Rechts, also für die Beibehaltung der Einstimmigkeit aller 27 Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus ist ihnen die geplante Grundrechtscharta ein Dorn im Auge. Neben Einmischung in die Terrorbekämpfung werde - etwa durch das EU-weit verbriefte Recht auf Streik - ein unerwünschter Eingriff in den britischen Arbeitsmarkt befürchtet.