Das neuronale System ist auch nach der Genesung noch betroffen. Eine Studie zeigt, wie Sars-CoV-2 ins Gehirn gelangt.
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Covid-19 ist meist deutlich zu spüren: Kopf- und Gliederschmerzen, Atemprobleme, Thrombosen, Fieber. Die Symptome variieren je nach Schwere der Infektion und wohl auch je nach Virusvariante. Eine beunruhigende und noch wenig erforschte Erscheinung im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion sind ihre Folgen für unser Gehirn. Ein Drittel der Erkrankten berichtet von irgendeiner Form neurologischer Symptome: Betroffene haben starke Kopfschmerzen, müssen sich übergeben, leiden unter Schwindelgefühlen und Konzentrationsschwäche. Auch der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sind Anzeichen, dass das Gehirn ebenso wie die Lunge und andere Organe von Sars-CoV-2 infiziert wird.
Genesen, aber nicht gesund
Die neuronalen Symptome betreffen oftmals auch Menschen, die ursprünglich "symptomlos" erkrankt waren, weil sie auch noch auftreten können, nachdem eine akute Erkrankung überwunden wurde. Sie gehören zu dem Syndrom, das auch als "Long Covid" bezeichnet wird. Zwischen fünfzig und 80 Prozent aller an Covid-19 Erkrankten berichten, dass sie sich auch Monate nach ihrer Genesung, wenn kein Virus mehr in ihrem Körper nachweisbar ist, noch nicht gesund fühlen. Zu den häufigsten Beschwerden gehören Müdigkeit, Erschöpfung, Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen und den Fingern aber eben auch Zustände, die auf neuronale Schädigungen hindeuten, etwa andauernde Konzentrationsschwäche, Angstzustände, Depressionen, psychotische Zustände.
"Die Gehirnschädigungen passieren unabhängig von der respiratorischen Insuffizienz", heißt es in einer Studie, die untersucht hat, auf welche Weise Sars-CoV-2 eigentlich in das Gehirn gelangt. Dass das Coronavirus auch in das Gehirn vordringt, weiß man aufgrund von Untersuchungen, die aufgrund des auffälligen Verlusts des Geschmacks- und Geruchssinns etwa seit Mitte des letzten Jahres. Erst jetzt werden die Mechanismen etwas klarer.
Sars-CoV-2 profitiert als durch die Atemluft übetragbares, respiratorisches Virus von der Verbundenheit der Atemwege, speziell des Nasenraumes, mit dem Gehirn. Dort befindet sich eine Schnittstelle, über die das Virus den Weg ins Gehirn findet. In der Nasenschleimhaut sind auch die ACE2-Rezeptoren zu finden, an die das Virus leicht binden kann, sodass sich das Virus dort auch besonders leicht vermehrt. Auch andere Coronaviren, etwa das Mers-Virus oder auch Sars-CoV-1 - beide führten zu Epidemien und sind eng mit dem aktuellen Coronavirus verwandt -, infizieren das Gehirn wahrscheinlich über diesen Weg. Der genaue Pfad ist noch Gegenstand der Forschung. Als gesichert gilt, dass das Coronavirus die Bluthirnschranke überwinden kann - wahrscheinlich indem es diese Schranke durch bestimmte Proteine, Zytokine, destabilisiert, die im Zuge einer Entzündung gebildet werden. Auch dies ist eine Folge der Immunreaktion auf das Virus.
Einmal im Gehirn, kann Sars-CoV-2 auf diese Weise Thrombosen, Entzündungen und weitere, auch neuropsychologische, Hirnschädigungen hervorrufen. Bereits bestehende Erkrankungen können so verstärkt werden oder auch neu entstehen. Wie die Studie um Maura Boldrini von der New York State University zeigt, sind es vor allem die entzündlichen Kaskaden, die durch die Zytokine ausgelöst werden, die zu nachhaltigen Schädigungen und im speziellen zu den neuropsychischen Symptomen führen: Die Zytokine aktivieren unter anderem bestimmte Zellen im Zentralnervensystem, zu dem neben dem Gehirn auch das Rückenmark gehört. Diese Aktivierung von Mikroglia oder Hortegazellen und von den sogenannten Astrozyten bringt das biochemische Gleichgewicht jener Neurotransmitter durcheinander, die dafür zuständig sind, dass wir uns wohlfühlen. So steigen die Werte von Quinolinsäure und von Glutamat deutlich an. Beide Stoffe werden mit der Entstehung von Depressionen und Angststörungen in Verbindung gebracht. Eine weitere Folge der regelrechten biochemischen Vergiftung können Halluzinationen, Albträume und Gedächtnisverlust sein.
Das Tragische an den ohnedies schlechten Nachrichten ist, dass bisher nicht bekannt ist, wie lang die Long-Covid-Symprome eigentlich anhalten können. In einer Studie wird von kognitiven Defiziten berichtet, die bis zu sechs Wochen lang anhalten.
Betroffene berichten aber auch, dass die Zustände ganz willkürlich immer wieder aufs Neue auftauchen. Auch bei Patienten, die zuvor keine psychischen Erkrankungen oder Beschwerden hatten. Die psychischen Leiden sind unabhängig davon, ob der Verlauf schwer war oder leicht.
Die WHO hat im Februar dieses Jahres eine standardisierte Erhebung zur Erforschung von Long Covid gestartet.