Mehr als 60 Prozent aller schweren Verläufe gehen auf Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und Herzinsuffizienz zurück. Bei Übergewicht scheint das Enzym ACE2 eine Rolle zu spielen.
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Wien. Ein Forschungsteam der Tufts University in den USA wollte herausfinden, ob Lebenstiländerungen - die Klassiker gesündere Ernährung, mehr Bewegung, weniger Alkohol und Stress - dazu beitragen könnten, die Häufigkeit schwerer Covid-19-Verläufe zu reduzieren. Sie nahmen 906.849 Fälle von Covid-19, die bis Mitte November im Krankenhaus behandelt werden mussten, unter die Lupe.
Ihr Fazit: Knapp 64 Prozent dieser schweren Verläufe von Covid-19 sind auf vier Vorerkrankungen zurückzuführen: Übergewicht (Adipositas), Bluthochdruck, Diabetes und Herzinsuffizienz. Adipositas - in der Tufts-Studie definiert als ein BMI höher als 30 - sticht mit dreißig Prozent besonders hervor: Fast ein Drittel der schweren Covid-19-Erkankungen geht auf besonders hohes Übergewicht zurück.
Eine Studie der Medizinischen Universität Wien kann nun vielleicht die Gründe, warum Covid-19 Menschen mit Übergewicht besonders hart trifft, erhellen: Es scheint mit einem bestimmten Enzym, dem Angiotensin konvertierenden Enzym 2, zu tun zu haben - das ist das Enzym, auf das die Rezeptoren am Spike-Protein des Coronavirus spezialisiert sind, besser bekannt als "ACE2".
Zu viel des Guten
ACE2 hat durch das neue Sars-CoV-2-Virus eine ambivalente Rolle bekommen: Das Enzym spielt eigentlich eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Infektionen, zum Beispiel von Grippe durch Influenza-Viren und zugleich ist es die Eintrittsstelle für Sars-CoV-2.
ACE2 ist ein Schlüsselenzym eines Botenstoffsystems, das Blutdruck und Blutvolumen steuert. Als Teil des sogenannten "alternativen RAS" wandelt ACE2 das Hormon Angiotensin II, das den Blutdruck in die Höhe treibt und die Lunge schädigt, in unschädliche Angiotensine um. Dieses alternative RAS wird daher auch als "gutes RAS" bezeichnet. "Die Lunge könnte versuchen, sich selbst bei einer Infektion zu schützen, indem sie das gute RAS stärkt", erklärte der Mediziner Roman Reindl-Schwaighofer, einer der Autoren der Studie, gegenüber der APA. Bei Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankt sind, findet man aus diesem Grund besonders hohe ACE2-Werte vor. Die Forschungsgruppe hatte 126 Proben von Covid-Patienten in der Wiener Klinik Favoriten analysiert. "Wir konnten nachweisen, dass ACE2 bei schweren Verläufen um mehr als das Siebenfache steigt", so die Studienautoren in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds (FWF).
Im Fall einer Erkrankung mit Covid-19 ist der Anstieg von ACE2 tragisch, denn das Enzym ist auch das Eintrittstor für Sars-CoV-2. Seine Rezeptoren sind genau auf dieses Enzym ausgerichtet. Je mehr ACE2 an den Zellmembranen der Lungenzellen gebildet wird, desto mehr Ansatzpunkte findet das Virus. Der Versuch, sich zu schützen, hat möglicherweise die gegenteilige Wirkung.
Manfred Hecking, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, vermutet, dass ACE2 ein Grund sein könnte, warum Menschen mit Adipositas oder Diabetes oft schwer an Covid-19 erkranken: Vor allem bei diesen Patienten fand die Studie erhöhte ACE2-Mengen in der Lunge. "Menschen mit diesen Erkrankungen, und jene mit Bluthochdruck und Herzinsuffizienz sollten sich sehr gut vor einer Infektion schützen", so Reindl-Schwaighofer.