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Ich habe ein Vierteljahrhundert gebraucht, um das Berlinerische Idiom kennenzulernen; richtig sprechen kann ich es nicht. Vielleicht tun Sie sich ja nach diesem Crashkurs leichter.
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Ich mochte Hans Weigel. Ich mag Claus Peymann nicht. Aber Peymann vorzuwerfen, dass er "Schangse" statt "Chance" sagt und deshalb nichts in Wien zu suchen habe, hab ich Weigel bis heute nicht verziehen. Seit 25 Jahren höre ich von früh bis spät das von so vielen Österreichern verachtete "Piefkenesisch". Hier heroben sagen alle "Schangse", Peymann fällt hier keineswegs auf (übrigens nicht nur sprachlich).
Sie sagen alle Betong, Balkong oder "Lameng". Letzteres bedeutet so viel wie "mit lockerer Hand, mit Leichtigkeit, spontan" - und ist vom französischen "la main" (die Hand) abgeleitet.
Doch das Näseln liegt halt dem Mann an der Spree nicht, das hielte er für affig. Und so "verdeutscht" er eben die Nasallaute, er hat das Französische einfach eingemeindet. Deshalb sagt er einem die Meinung "direktemang" ins Gesicht, "mittenmang" in der besten Gesellschaft.
Niemand bestreitet, dass die Aufforderung "trink´ ma no a Glaserl Wein" gemütlicher klingt als das berlinerische Pendant "Imma ran an de Ramme!", das fast martialisch klingt. Andererseits verharmlost der Wiener Slang den Alkoholismus, der sogar ein Stück vom Himmel sein soll, während die Piefke-Variante die Anstrengung und Überwindung zum Paniksaufen anklingen lässt.
"Radetzky" nannten wir in der Schule unseren Radiergummi - ein eher bescheidenes Wortspiel. Klingt da "Ratzefummel" nicht viel lautmalerischer? Entsteht nicht sofort das Klangbild des Kratzens auf Papier? Zweifellos beschreibt unser "Gemischtwarenhändler" den Sachverhalt genau; dennoch finde ich den "Tante Emma Laden" weitaus familiärer und bildhafter.
Durch den "Tourrorismus" haben wir "Ösis" den Klang der Nordlichter-Sprache weitgehend intus. Doch das Berlinerische, also das eigentliche "Ur-Piefkenesisch" (Herr Musikdirektor Piefke kam nun einmal aus Berlin), hat durchaus seine herzlichen, lustigen, heimeligen Seiten. Und es besticht oft durch einen treffenden, niemals wirklich verletzenden Humor.
So kommt einer, der endlich begriffen hat, was alle anderen längst schon wussten, "aus dem Mustopp". Kommt er vom Budiker (Mischwort aus "Bude" und "Boutique"), dann ist er nicht besoffen, sondern "beschickert". Trifft er seinen Freund, der fragt ihn: "Sach ma, haste solche Käsemauken oder biste inne Tretmine jestiejen?" ("Riechen deine Füße so übel oder hast du Hundekot dran?")
Nun taucht ein Wonneproppen (hübsches Mädchen) auf. "Kuck dia ma diese Kawenzmänner (imposante Oberweite) an!" "Mann, Döskopp! Dit is meene Keule (Schwester)." Bei solchen Dialogen könnt ick mir richtich beölen (schieflachen).
Da kommt eine "Husche" auf (Platzregen), die beiden schwingen sich auf ihre "Nuckelpinne" (spritschluckendes Altauto) und machen sich auf den Weg in ihren "Kiez" (ihr Heimatviertel), das "JotWeDe" (janz weit draußen), irgendwo am Stadtrand liegt. "Ick hab´n richtijen Jieper (Hunger)", meint der eine. "Ick hab aba nua Schmalzstullen". "Hoffentlich jibt es nich wieder diese Lorke (miserablen Kaffee)!" "Nu, beboomöl´ dia man nich!" (Nun zier dich nicht so!)
Dass Piefkenesisch sogar einen eigenen Kasus, dem/den "Akku-Dativ" erfunden hat, soll folgender berühmter Kalauer belegen, mit dem unser Crashkurs zu Ende geht:
Ick sitz hier und esse Klops / uff eenmal klopp´s.
Ick staune, kieke, wundre mir, / uff eenmal jeht se uff, die Tier!
Nanu, denk´ ick, ick denk´: Nanu, / jetzt jeht se uff, erst war se zu!
Und ick jeh´ raus und kieke, / und wer steht draußen? ... Icke.