Merkel will Wettbewerbspakt, Brüssel soll mehr Einfluss auf Haushalte bekommen.
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Berlin/Brüssel. Angela Merkel galt bisher vor allem als Pragmatikerin der Macht. Das politische Feld bestellte die deutsche Kanzlerin eher bedächtig reagierend, als dass sie aktiv Initiativen setzte - in der nicht unberechtigten Hoffnung, dass sich am Ende das meiste so fügen würde, wie sich das die Pastorentochter aus dem Osten ursprünglich vorgestellt hatte. Dass Merkel damit durchaus erfolgreich ist, hat erst das vergangene Wochenende vor Augen geführt. Auf dem Parteikonvent der SPD, die sich in den vergangenen Wochen nur sehr widerwillig mit der Idee einer großen Koalition anfreunden konnte, stimmte letztendlich doch eine klare Mehrheit von 86 Prozent für Verhandlungen mit der Union. Mit Plänen für den großen Wurf dürfte Merkel - nach allem, was sich bisher abzeichnet - allerdings auch hier nicht aufwarten. In den Verhandlungen, in deren Vorfeld die Union schon vom Ziel des Schuldenabbaus bis 2015 abgerückt ist, wird es vor allem darum gehen, die Gräben zwischen den Parteien zuzuschütten und die SPD-Forderungen nach einem flächendeckenden Mindestlohn oder der Einführung einer Mietpreisbremse zu dämpfen.
In europapolitischer Hinsicht könnte Merkel in ihrer dritten Amtszeit jedoch eine bisher kaum gekannte Facette zeigen. Denn laut Informationen des "Spiegel" will die Kanzlerin Europa deutlich mehr Macht in der Wirtschafts- und Finanzpolitik verleihen. Brüssel soll vor allem dann ein gewichtiges Wort mitreden, wenn es um die Kontrolle der 28 nationalen Haushalte geht und wenn die einzelnen Länder Schulden machen wollen.
Eingebettet soll das alles in einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit werden - ein Projekt, das bereits Ende Mai in einem deutsch französischen Papier in Grundzügen angedacht worden war. Ähnlich wie beim bereits beschlossenen Fiskalpakt, der mit Ausnahmen von Tschechien und Großbritannien von allen EU-Ländern ratifiziert wurde, soll es nach Merkels Vorstellung auch hier verbindliche Verträge zwischen der Kommission und einzelnen Mitgliedsstaaten geben. Im Fall des Wettbewerbspaktes würden die Schwerpunkte dann neben der Budgetdisziplin wohl auch auf Zukunftsinvestitionen und Innovationen liegen - unterfüttert von zu erreichenden Sollzielen und entsprechenden Fristen.
EU-Partner wenig begeistert
Als Vehikel für einen solchen Wettbewerbspakt könnte das bisher eher unverbindlich formulierte "Protokoll 14" des EU-Vertrags fungieren, das der Kommission dann die entsprechende Rechte zur Ausgestaltung solcher Verträge einräumt. Da bei dieser Vorgehensweise nicht der gesamte EU-Vertrag aufgeschnürt werden würde, müssten auch keine nationalen Referenden abgehalten werden, die in vielen Ländern nur schwierig zu gewinnen wären.
Mit einem Wettbewerbspakt würde die Union im Wesentlichen an die glorios gescheiterte Lissabon-Strategie anknüpfen. Im Jahr 2000 hatten die EU-Länder zwar vereinbart, ihre Forschungsausgaben auf drei Prozent des BIP anzuheben, aber eingehalten wurde diese unverbindliche Erklärung von den wenigsten. In der Folge verlor Europa hinsichtlich der eigenen Innovationskraft massiv gegenüber anderen Weltregionen. Gleichzeitig drifteten auch die einzelnen EU-Länder in Sachen Wettbewerbsfähigkeit immer stärker auseinander.
Beim Wettbewerbspakt stößt Berlin allerdings auf dieselbe ablehnende Haltung vieler Partner wie beim Fiskalpakt. Zwar sind 2012 die Budgetdefizite in der gesamten EU durchschnittlich von 4,4 auf 3,9 Prozent gesunken (siehe Grafik), doch die Regierungen scheuen die per Vertrag festgelegte Verbindlichkeit, weil damit der Spielraum für Sozialversprechen auf nationaler Ebene schwieriger wird. Auf lange Sicht stellt sich zudem die Frage, ob die EU-Länder, um gemeinsam wettbewerbsfähiger zu werden, nicht auch ihre nationalen Arbeitsmarkt-, Pensions- und Sozialpolitiken annähern müssten. Gerade jene Bereiche wurden von den Regierungen bisher aber als nationale Spielwiese betrachtet und in Zeiten, in denen man mit Slogans wie "Mehr Macht für Brüssel" wohl in kaum einem EU-Land punkten kann, dürfte sich daran so schnell nichts ändern.
Doch Merkel hat offenbar auch schon an ein Lockmittel gedacht, um die EU-Partner für ihr Projekt zu gewinnen: Folgsame Mitgliedstaaten sollen aus einem schon öfters angedachten Extrabudget für die Euro-Zone belohnt werden. Einen Hinweis darauf, ob sich am Ende alles so fügt, wie Merkel sich das vorstellt, könnte jedenfalls schon der EU-Gipfel ab Donnerstag bringen. Da will Merkel bei den europäischen Partnern für ihr Vorhaben werben.
Österreichische Haushaltsprobleme
Alle EU-Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht und der Statistikbehörde Eurostat ihre Finanzschulden für 2012 gemeldet.
Alle Länder? Ein kleines Land inmitten der EU hat sich für seine Zahlen einen "Qualitätsvorbehalt" von Eurostat eingehandelt: Österreich.
Die an Eurostat gemeldeten Zahlen, die wiederum von den Bundesländern an die Statistik Austria und von dort nach Brüssel geschickt werden, weisen Salzburg 2,3 Milliarden Euro Schulden zu. Vor zwei Wochen publizierte dann aber der Rechnungshof einen Bericht, der Salzburg eine Verschuldung von 3,5 Milliarden Euro bescheinigt. Diese Differenz würde Österreichs Gesamtschuldenstand um 0,5 Prozentpunkte des BIP nach oben korrigieren.
Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer sprach von einem "Reputationsschaden" für Österreich. Die Abweichung hängt mit der Finanzaffäre in Salzburg zusammen, gewisse Rechnungskreise waren nicht eingerechnet worden. Landesrat Christian Stöckl (ÖVP) erklärte, dass in den vergangenen Jahren, Schulden "versteckt" worden seien.