Untreue großteils bestätigt, Betrug und Bilanzfälschung in der Kritik. | Opposition fordert Rücktritt von Claudia Bandion-Ortner. | Wien. Die Ziellinie ist in Sichtweite. Am 22. und 23. Dezember steigt das Berufungsverfahren gegen Helmut Elsner und acht weitere Angeklagte im Bawag-Prozess am Obersten Gerichtshof (OGH). Damit könnte die Causa dreieinhalb Jahre nach Prozessbeginn endlich abgeschlossen werden. Doch kurz vor dem Ziel heißt es: Zurück an den Start - zumindest ein bisschen. Die Generalprokuratur empfiehlt nämlich eine teilweise Aufhebung der im Juli 2008 gefällten Urteile. | Hauptstadtszene: 'Richterin Gnadenlos' vor Scherbenhaufen
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Die Generalprokuratur ist als Rechtswahrer dem OGH beigestellt. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem, zu Nichtigkeitsbeschwerden gegen Urteile eine Stellungnahme (ein Croquis) abzugeben. Das 328 Seiten starke Croquis zum Bawag-Prozess, das am Dienstag an die Beteiligten übermittelt wurde, spricht den Nichtigkeitsbeschwerden von Ex-Bawag-Generaldirektor Helmut Elsner und Co. "teilweise Berechtigung" zu. "Wir haben daher die Aufhebung des Strafausspruchs empfohlen", erklärte am Dienstag Wilfried Seidl, Sprecher der Generalprokuratur.
Seidl spricht gegenüber der "Wiener Zeitung" von "Fehlern in der Urteilsbegründung", was "in einem derartig komplizierten Verfahren natürlich passieren" könne. Diese Fehler beziehen sich im Falle von Elsner vor allem auf die Anklagepunkte Bilanzfälschung und Betrug (er soll sich seine Pensionsabfindung von 6,8 Millionen Euro erschlichen haben).
Im Fall der Bilanzfälschung sieht die Generalprokuratur das Delikt bezüglich Helmut Elsner - nicht jedoch in Bezug auf die übrigen angeklagten Banker - als verjährt und empfiehlt daher einen Freispruch. Auch beim Betrug sei das Urteil aufzuheben und an die erste Instanz zurückzuweisen. Etwas anders sieht es beim Vorwurf der Untreue aus. Hier sind für die Staatsanwälte von der Generalprokuratur 14 von 18 Fakten "wasserdicht". Lediglich vier seien aufzuheben. Dadurch würde sich die vom Erstgericht angenommene Schadenshöhe im Falle Elsners von 1,7 auf 1,4 Milliarden Euro reduzieren. Trotzdem: Sollte der OGH den Empfehlungen folgen - was in den meisten Fällen passiert -, wäre ein Großteil des Untreuevorwurfs bestätigt.
Aufhebung aller Strafen empfohlen
Die Mängel in der Urteilsbegründung betreffen freilich nicht nur Helmut Elsner, sondern auch seine acht Mitangeklagten. "Es sind vor allem Mängel an den Feststellungen (Teil der Urteilsbegründung, Anm.), die uns veranlasst habe, bei allen Angeklagten die Aufhebung des Strafausspruchs zu empfehlen", sagt Seidl, denn "wenn der Schuldspruch zum Teil aufgehoben wird, muss konsequenterweise auch der Strafausspruch aufgehoben werden".
Folgt der OGH den Empfehlungen der Generalprokuratur, bedeutet das eine Neuauflage des Bawag-Prozesses gegen Elsner, Johann Zwettler und Peter Nakowitz - allerdings nur bezüglich der aufgehobenen Vorwürfe. Bezüglich der bestätigten müsste das erstinstanzliche Gericht, an das der Fall zurückverwiesen wird, nur das Strafmaß neu verhandeln. Theoretisch könnte die Staatsanwaltschaft sich damit begnügen und auf eine neuerliche Anklage bezüglich der aufgehobenen Anklagepunkte verzichten. Selbst dann würde das Strafmaß für Elsner aufgrund der gewaltigen Schadenssumme voraussichtlich noch recht hoch ausfallen.
Bei den übrigen Angeklagten müsste zur Gänze neu verhandelt werden.
Jürgen Mertens, Anwalt von Helmut Elsner, glaubt allerdings, dass auch gegen seinen Mandanten der gesamte Prozess neu aufgerollt werden muss. "Das Urteil ist jetzt schon löchrig wie ein Schweizer Käse - da wird auch der Rest nicht halten", so Mertens zur "Wiener Zeitung". Auf jeden Fall rechnet der Anwalt mit einem deutlich reduzierten Urteil für Elsner.
Auch auf dessen U-Haft (seit mehr als dreieinhalb Jahren sitzt Elsner in der Josefstadt ein) habe dies Auswirkungen, schließlich sei die Verhältnismäßigkeit entscheidend, so Mertens.
Opposition schießt sich auf Bandion-Ortner ein
Von einem "Fiasko für die Justizministerin" und "peinlichen Schnitzern, die in so einem Fall nicht passieren hätten dürfen" spricht man aufgrund des Croquis in Justizkreisen. Nun geraten vor allem Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und ihr Kabinettschef Georg Krakow (sie war Richterin im Bawag-Prozess, er Staatsanwalt) ins Kreuzfeuer der Opposition. FPÖ, Grüne und BZÖ fordern den Rücktritt des Duos. Das BZÖ hat für die Nationalratssitzung am Donnerstag eine Dringliche Anfrage sowie einen Misstrauensantrag angekündigt. ÖVP-Chef Vizekanzler Josef Pröll erklärte jedoch am Dienstag nach dem Ministerrat, er sehe keinen Grund, Bandion-Ortner als Justizministerin in Frage zu stellen.
Bandion-Ortner reagierte gelassen auf die Entscheidung der Generalprokuratur. Es liege "in der Natur der Sache, dass es in einem Großverfahren verschiedene Rechtsansichten gibt". Allerdings habe die Generalprokuratur "wesentliche Teile des Urteils bestätigt".
Wissen
Die Generalprokuratur ist eine staatsanwaltschaftliche Behörde beim Obersten Gerichtshof (OGH). Sie nimmt dort die Vertretung des Staates ein, allerdings nicht als Ankläger, sondern als Rechtswahrer, also als "Wächter der richtigen Anwendung der Gesetze".
Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem die Erstattung von Stellungnahmen (Croquis) zu Nichtigkeitsbeschwerden gegen schöffen- und geschworenengerichtliche Urteile, die vor dem OGH behandelt werden.
Viel wichtiger ist jedoch die Befugnis, selbst Nichtigkeitsbeschwerde einzureichen, falls ein Urteil auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruht oder es im Laufe des Prozesses zu gesetzwidrigen Beschlüssen oder Vorgängen gekommen ist.
Weisungsmäßig ist die Generalprokuratur direkt dem Justizministerium unterstellt.