Der Krieg in der Ukraine weckt bei älteren Menschen düstere Erinnerungen an die russische Besatzungszeit.
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Bilder von russischen Luftangriffen, von ukrainischen Zivilisten, die um ihr Leben laufen und in Kellern und Metrostationen Zuflucht suchen. Tote, die auf den Straßen liegen, Flüchtlingskolonnen an der Grenze, Spitäler, die die vielen Verletzten schon nicht mehr aufnehmen können. Berichte über Plünderungen und Vergewaltigungen. Der Angriff auf die Ukraine weckt zwangsläufig düstere Erinnerungen bei jenen Österreichern, die Krieg, Vertreibung und die Sowjet-Besatzung Österreichs selbst erlebt haben. Als die Rote Armee im April 1945 zum Sturm auf Wien ansetzte, war bei allen Gegnern des Nazi-Regimes, Widerstandskämpfern und Verfolgten der Jubel groß. Überall aber herrschten auch Angst und Ungewissheit.
Das lag einerseits an der Gräuelpropaganda der Nationalsozialisten, die die "Bolschewisten" als blutrünstig und gnadenlos darstellte, zum anderen daran, dass die Befreier stellenweise tatsächlich fürchterlich wüteten. Im Gegensatz dazu erinnern sich viele Zeitzeugen an russische Besatzer, die zu Kindern freundlich waren, sogar mit ihnen spielten und die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt haben.
Schreiende Vergewaltigte
Zunächst aber war die dunkle Seite der Sieger allgegenwärtig: Robert Schigutt war im April 1945 in Wien, er hat die Kämpfe als 15-Jähriger miterlebt. Er sei so wie viele andere zur Hernalser Hauptstraße gegangen, erzählte er schon vor einigen Jahren der "Wiener Zeitung", die Sieger seien dort friedlich durchmarschiert. Es habe aber eine enorme Angst vor Vergewaltigungen geherrscht, er selbst habe die verzweifelten Schreie von Frauen gehört, "da war Gewalt".
Eindringlich auch die Erinnerungen von Josef Andersch, der beim Angriff der Roten Armee auf Wien ein Kind und dessen Vater von den Nazis als Widerstandskämpfer erschossen worden war. Er hat die deutschen Panzerkolonnen entlang der Brünner Straße noch klar vor Augen. "Da sind in der Nacht die russischen Tiefflieger gekommen, die haben jeden einzelnen Panzer bombardiert. Da habe ich Leichenberge gesehen. Die Besatzungen der Panzer hat es herausgeschleudert", erinnerte sich Andersch in einem Gespräch 2019. "Wir haben damals in ständiger Angst gelebt."
Die Sieger konnten auch für die Zivilbevölkerung enorm gefährlich werden, berichtete Andersch: "Mein Großvater hat in der Nähe vom Gaswerk einen kleinen Schrebergarten gehabt, da sind wir mit ihm hingegangen, um zu schauen, wie es um die Hütte steht. Auf einmal hören wir einen Lärm, einen Wirbel, Grölerei. Da kommt ein Trupp Männer, so fünf bis sechs, in Zivil und mitten unter ihnen ein Rotarmist. Mit einer feschen Uniform, Orden hat er angelegt gehabt, so ein großer Mann - aber stockbesoffen. Ich habe natürlich Angst gehabt und bin davongelaufen. Die Mutter und der Großvater haben mir dann nachher erzählt, dass der Rotarmist die Pistole gezogen und mir nachgezielt hat. Meine Mutter ist ihm in den Arm gefallen."
"Der ist doch noch so jung"
Der Historiker Gerald Stourzh war bei den Kämpfen um Wien im April 1945 knapp 16 Jahre alt. Er verbrachte die Tage des Umsturzes in einem Notlazarett im Keller eines Klosters in der Hofzeile, wo seine Mutter, eine Ärztin, Dienst tun musste. "So um den 12./13. April herum bin ich mitten in er Nacht plötzlich in meinem Stockbett aufgeweckt worden und da stand vor mir ein russischer Soldat mit einer Pistole. Da haben sie nach SS-Leuten gesucht. Die Ärzte haben gesagt: ‚Der ist doch noch so jung.‘ Und der Russe mit dem Revolver ist weitergegangen." Nach dem Kriegsende 1945 waren die, die in Niederösterreich, Wien, dem Burgenland oder in Teilen Oberösterreichs und somit in der sowjetischen Besatzungszone lebten, eindeutig benachteiligt. Die Sowjets demontierten und verschickten viele Industriebetriebe, Beschlagnahmungen und Willkür waren an der Tagesordnung. Menschen verschwanden spurlos, sie wurden häufig einfach nach Russland verschleppt. In einigen Gegenden herrschte Lebensmittelknappheit.
Schon deshalb war von Trauer keine Spur, als die Sowjet-Besatzer nach dem Staatsvertrag 1955 wieder abzogen. Der Zeitzeuge Erich Lorenz, damals 6 Jahre alt, lebte mit seinen Eltern in der russischen Besatzungszone am Schwarzenbergplatz in Wien. "Ich kann mich noch erinnern, wie die Delegationen am 15. Mai 1955 die Prinz-Eugen-Straße hinaufgefahren sind. Wir haben vom Fenster herunter geschaut und haben uns gefreut", so Lorenz.
Aus den Jahren davor kann er eine Geschichte erzählen, die seine Mutter überliefert hat: "Da gab es in Wien russische Offiziere, die Quartiere gesucht haben. Gegenüber unserer Wohnung war ein Fleischhauer und die Russen haben mit ihm Geschäfte gemacht. Er hat ihnen altes Fleisch günstig verkauft und da haben sie seine Wohnung gesehen. Die war 220 Quadratmeter groß. Den Fleischer haben sie in ein Kabinett gedrängt und die ganze Wohnung besetzt. Und dort mit ihren Freundinnen gewohnt. Irgendwelche Österreicherinnen, die für ein paar Kleinigkeiten wie zum Beispiel Seidenstrümpfe - das war damals Mangelware - mit denen zusammengewesen sind. Wenn die angesoffen waren, haben sie an die Türe getrommelt, wenn sie mit ihrem Wodka nach Hause gekommen sind."
Wiener drehen Spieß um
Wobei sich Widerstandsgeist regte, wie Lorenz erzählt: "Dann ist eine von diesen Russen-Freundinnen zu meiner Mutter herübergekommen, um sich so schöne Locken drehen zu lassen, wie sie meine Mutter hatte. Die war aber nicht dumm und hat sie mit einem heißen Eisen ein bisschen verbrannt. Daraufhin ist die nicht mehr gekommen."
Die Wiener waren nicht nur Opfer, viele wussten sich zu helfen und manche drehten den Spieß einfach um. Wie das Beispiel des Zeitzeugen Hellmut Butterweck zeigt. Er war 1945 als Deserteur vor der Nazi-Obrigkeit auf der Flucht, als die Rote Armee zum Sturm auf Wien ansetzte. Zu dieser Zeit war er in großer Not, erinnert sich Butterweck, er sei so verhungert gewesen, dass er einem zufällig vorbeikommenden Rotarmisten "die Sardinenbüchse aus der Hand geschlagen" habe. "Der hat ein paar getragen, ich habe die oberste gepackt und er hat sie loslassen müssen. Der Russe hat gebrüllt, aber er hat mir nichts getan. Ich habe die Büchse mit einem Stemmeisen und einem Hammer aufgemacht und in einem Bissen verschlungen."