Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Hohe Arbeitslosenzahlen. Ständige Forderungen nach einem Rückbau des Sozialstaates im Gefolge der Sparpolitik. Bildungsdefizite. Konzerne, die mit Bilanztricks kaum Steuern zahlen. Steigende Ungleichheit. Von der thematischen Ausgangslage her müssten in Europa sozialdemokratische Parteien regen Wähler- und Mitgliederzulauf haben. Doch das Gegenteil ist der Fall.
"Da ist was los", formulierte es Werner Faymann als SPÖ-Obmann in der "Pressestunde". Die Frage lautet: Warum ist da so viel los? Einer der Gründe liegt am fehlenden Tun. Fakt ist, dass in der EU strikte Sparpolitik Beschlusslage ist, also auch von den sozialdemokratischen Regierungen mitgetragen wird. Nur zu sagen, man sei dagegen, ist kein politisches Konzept, das wird auch Italiens Regierungschef Matteo Renzi merken.
Nun sind die Sozialdemokraten EU-weit sozusagen der Juniorpartner, können sich also gegen die stärkeren Konservativen nur punktuell durchsetzen. Das führt dazu, dass Verbesserungen - etwa bei Steuervermeidungskonstrukten von Konzernen - in Europa sehr lange dauern. Das fällt Sozialdemokraten stärker auf den Kopf als konservativen Parteien. Und schlechte Wahlergebnisse bringen in der Folge die Parteispitzen innerparteilich in Bedrängnis - siehe SPÖ-Parteitag.
Eine ziemlich verzwickte Situation für rote Politiker: Auf europäischer Ebene eine Globalisierung zu verteidigen, an die sie selber nicht mehr glauben, kann nicht glaubwürdig sein.
Die europäische Sozialdemokratie hat damit allerdings mehr zu tun, als ihr lieb sein kann.
Sie hat es verabsäumt, eine menschenwürdigere Globalisierungsidee zu entwickeln, und ließ sich von der Dynamik des Prozesses überrollen. Globalisierung ist und bleibt ein Faktum. Der Wunsch nach den "guten, alten Vollzeitjobs" ist verständlich, im modernen Wirtschaftsleben aber illusorisch. Die Digitalisierung der Industrie wird diese Entwicklung verstärken.
Retro-Konzepte auf nationaler Ebene sind daher von Beginn an zum Scheitern verurteilt, es geht vielmehr darum, die Gesellschaft mental und von den Qualifikationen her darauf vorzubereiten.
Das wiederum schneidet tief ins Selbstverständnis sozialdemokratischer Funktionäre, die immer noch den Erfolgen nach 1970 nachhängen. Zurück zu den Wurzen, könnte man meinen, denn in der SPÖ hatte (historisch betrachtet) die Zukunft immer eine große Bedeutung.