Der Wirecard-Skandal und das bedenkliche Oligopol der großen Wirtschaftsprüfer.
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Stellen Sie sich vor, in ganz Österreich gäbe es nur vier Rechtsanwälte. Große und durchaus kompetente Kanzleien - aber eben nur vier. Undenkbar? Wo bleiben da der Markt und der Wettbewerb, fragen Sie? Stellen Sie sich weiter vor, einem der vier unterliefe ein folgenschwerer Fehler, und viele Kundinnen und Kunden würden da einmal eine Weile besser nicht hingehen wollen. Dann wären es auf einmal nur noch drei. Für ganz Österreich. Komplett unvorstellbar?
Bei den Wirtschaftsprüfern ist es genau so! Neun von zehn börsennotierten Unternehmen in Österreich werden von Deloitte, EY, KPMG oder PricewaterhouseCoopers geprüft. Bei Unternehmen von öffentlichem Interesse sind es acht von zehn. Ein veritables Oligopol. Aber wie werden aus diesen "Big Four" dann drei? Nun, EY war der Abschlussprüfer von Wirecard. Seit Jahren der größte Bilanzskandal. Die Folge: Große DAX-Unternehmen verzichten vorerst auf eine Beauftragung von EY. Niemand ist fehlerfrei, aber über kurz oder lang wird dieser Verzicht auf einen der "Big Four" auch auf Österreich überschwappen. Dann teilen sich also vielleicht bald "Big Three" den ganzen Markt?
2014 wurde durch die EU-Auditreform eine verpflichtende Rotation des Abschlussprüfers bei Unternehmen von öffentlichem Interesse eingeführt. Dennoch bleibt das Ausmaß der Marktkonzentration bedrohlich und sind die Hürden für kleinere "Challenger" hoch: Die "Big Four" oder dann "Big Three" gehen mit regelrechten Kampfpreisen in den Markt, können sich aufgrund ihrer Größe und globalen Aufstellung moderne digitale Prüfungstools problemlos leisten und genießen - trotz aller Bilanzskandale - nach wie vor hohes Ansehen.
Es müsste bei der Abschlussprüfung kein Entweder-oder geben. Es gibt die Möglichkeit für mehr Auswahl und Qualität durch Kooperation - die Fachbegriffe sind "Joint Audit" und "Shared Audit". Ein Vier-Augen-Prinzip, bei dem ein großer und ein kleinerer Wirtschaftsprüfer entweder die gemeinsame Verantwortung für die Abschlussprüfung übernehmen oder für einzelne, zuvor festgelegte Teile - bei wechselseitiger Qualitätskontrolle. Das sind keine ungewissen Experimente am Kunden. In Frankreich funktioniert dieses System seit vielen Jahren - bei hoher Qualität und konstanten Prüfhonoraren.
Das Oligopol der Großen ist schon jetzt sehr bedenklich. Die ab 2025 verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung für rund 2.000 zusätzliche mittelständische Unternehmen in Österreich könnte es weiter einzementieren. Die österreichische Bundesregierung hat es in der Hand, den Markt durch gesetzliche Begleitmaßnahmen zu öffnen. Oder sie serviert dem Oligopol der "Big Four" beziehungsweise "Big Three" 2.000 zusätzliche Kundinnen und Kunden auf dem Silbertablett.
Ich bin überzeugt, eine Erhöhung der Anzahl an Markteilnehmern erhöht Qualität und Akzeptanz der Abschlussprüfung und dient der Stärkung des Vertrauens in Kapitalmärkte und den Wirtschaftsstandort Österreich. Dieses Vertrauen darf nicht durch Bilanzskandale verspielt werden!